«Wie kann Gott uns lieben…?»
Als typisches Massaikind wuchs Nkuyata Ole Letoluo in einem Manyatta – einer aus Kuhmist und Lehm gebauten Hütte – auf. «Mein Vater hatte zwei Frauen. Meine Mutter war die zweite Frau.» Nkuyata wuchs mit seinen vier Geschwistern und fünf Halbgeschwistern auf. Er war tief verhaftet in der animistischen Religion der Massai, zu welcher Rituale wie die Beschneidung, Bluttrinken und vieles mehr gehört.
Schulbildung ist (k)ein Privileg
Schuldbildung gilt nur bei wenigen Massai als Privileg. Nkuyata wurde als einziger seiner Grossfamilie zur Schule geschickt. Das wurde für ihn zum Privileg. Seine Primarschule befand sich unter den Bäumen und anschliessend ging er an die weiterführende Schule. Dort hörte er von Jesus und begann, an ihn zu glauben.
«An der Highschool rief mich der Herr in den Dienst an den Massai.» Von da an gab Nkuyata sein ganzes Herzblut in den Dienst an seinem Volk. Er hatte das Vorrecht, ein Bible College und später sogar die Universität zu besuchen, wo er den Master in Theologie machte. Praktische Diensterfahrung sammelte er bei der in Kenia wirkenden deutschen Missionsgesellschaft DiGuNa, welche er nach einem Jahr verliess, um zu seinem Stamm zurückzukehren.
Wenn ein Evangelist sich für Menschenrechte einsetzt
«Ich ging zu meinem Volk und predigte den Leuten das Evangelium. Doch auch die Rechte der Mädchen wurden mir wichtig.» Nkuyata wollte nicht akzeptieren, dass junge Mädchen – manchmal sogar schon vor ihrem zehnten Geburtstag – beschnitten und verheiratet werden. «Als ich mich neben dem Predigen für die Rechte dieser Mädchen einsetzte, erhielt ich Unterstützung von den Behörden. Dies änderte sich, als ich die Massai aufklärte, dass sie nicht verpflichtet waren, ihr Land zu verkaufen.»
Der Einsatz fürs Stammesland der Massai wurde Nkuyata wichtig. Eine Zeitlang repräsentierte er sein Stamm sogar vor der UNO. Er berichtet dabei von ständig wachsendem Widerstand – gerade durch die Regierung. «Im vergangenen Jahr wurde ich mehr als zehn Mal verhaftet», gibt er ein Beispiel dieses Widerstands. «Die Regierung fürchtet sich vor mir, weil ich die Wahrheit sage und für mein Volk einstehe. Ich wurde zu Falschaussagen gedrängt, habe aber in keiner Weise nachgegeben.»
Kirchen haben keinen Wohnsitz
Seit vielen Jahren leidet das Stammesgebiet der Massai unter Trockenheit. Als Nomaden sind sie gewohnt, ihre Hütten zurückzulassen und weiterzuziehen an einen Ort, wo sie Wasser und Nahrung finden. In den vergangenen Jahren war es besonders trocken und die Leute ziehen immer wieder um. Das westliche Gemeindesystem mit Kirchengebäude und lokalem Pastor funktioniert da verständlicherweise nicht mehr. «Wir haben unsere Gebäude verlassen und treffen uns unter den Bäumen», beschreibt Nkuyata das Gemeindeleben der Massai. «Wenn die Leute weiterziehen, folgen ihnen die Prediger, damit sie überall Gemeinde leben können.»
Nkuyata, der den Titel «Apostel» trägt, reist viel herum und veranstaltet Gottesdienste und Konferenzen. «Die Gläubigen werden vorgängig zusammengerufen und nehmen dann Wege von bis zu 20 Kilometer auf sich, um einen Gottesdienst zu feiern. So kommen jeweils Hunderte zusammen.» Der Hunger nach Gottes Wort sei gross und die Gläubigen nehmen gerne stundenlange Reisen auf sich, um einen Gottesdienst zu besuchen.
Die Dürre zwingt die Massai auf die Knie
«Die Situation ist extrem hart», beschreibt Nkuyata die aktuelle Dürrezeit. «Die Leute leiden. Mehr als eine Mahlzeit pro Tag liegt kaum drin und zum Wasserholen gehen viele von uns mehr als zehn Kilometer und dann wieder zurück.» Aufgrund der grossen Hitze würden diese Wege nachts zurückgelegt und wegen der Gefahr durch wilde Tiere gehen stets junge Krieger als Verstärkung mit.
Auch Nkuyata ist betroffen. «In meinem Haus habe ich elf alte Menschen aufgenommen. Sie kamen und baten um Hilfe. Ich sagte, dass ich nichts habe, doch sie blieben. Es gibt keinen Ort für sie.» In den vergangenen zwei Tagen hätten sie nichts zu sich genommen als Tee und Haferbrei.
«Wie kann Gott uns lieben?»
Hungernde Menschen, verendete Tiere, hoffnungslose Zukunftsperspektive: Die Stimmung der Massai ist höchst angespannt. Dem ist auch Nkuyata ausgesetzt. «Von meinen 20 Kühen haben bis heute nur drei überlebt. Die anderen sind verendet.» Was ihm aber noch mehr zusetzt, sind die Hilferufe seines Stammesleute.
«Wie kann Gott uns lieben und uns an Hunger sterben lassen?» Solche Fragen sind nicht selten – und Nkuyata hat keine wirklich befriedigende Antwort bereit. Er selbst ist auf Zuwendungen von Menschen angewiesen, die selbst nicht genug zum Leben haben. «Ein Freund aus Südafrika gab mir 200 Dollar. Ich habe damit Essen und Wasser gekauft und zu den Menschen gebracht.» Die Leute waren dankbar, die Güter schnell weg, brachten aber für den Tag etwas Linderung.
«Kürzlich hatte ich während eines viertägigen Einsatzes keine Möglichkeit, mein Gesicht zu waschen. Es gab einfach kein Wasser.» Durch derartige Herausforderungen lässt sich Nkuyata aber nicht abschrecken. Gottes Ruf und die Liebe zu seinem Volk drängen ihn vorwärts. Und auch wenn er dies gerne deutlicher sehen würde, weiss er: Gottes Liebe für die Massai ist ungebrochen.
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Datum: 16.03.2023
Autor:
Markus Richner-Mai
Quelle:
Livenet