Noch schlimmer als befürchtet

Affäre erschüttert Reformierte Kirche

Der Eklat in der Evangelisch-reformierten Kirche nach den Rücktritten von Sabine Brändlin und Gottfried Locher ist noch schlimmer als befürchtet. Seit der heutigen Synode ist klar: Der zurückgetretene Präsident und das ehemalige Ratsmitglied hatten eine Affäre. Eine Zusammenfassung mit Kommentar von Florian Wüthrich.
Gottfried Locher (Bild: Monica Schulthess Zettel)
Ulrich Knoepfel (Bild: EKS)
Florian Wüthrich

Schon als Gottfried Locher am 28. Mai 2020 seinen sofortigen Rücktritt bekanntgab, war dies ein Erdbeben für die Reformierten in der Schweiz. Doch nun kamen im Rahmen der Synode im Kursaal Bern weitere Hintergründe ans Licht, welche die Evangelisch-reformierte Kirche in ihren Grundfesten erschüttern: Der Ratspräsident hatte eine Liaison mit der Ratskollegin Sabine Brändli.

GPK-Bericht erst an der Synode verteilt

Obwohl die Geschäftsprüfungskommission ihren Bericht zu den Hintergründen der Rücktritte schon am 4. Juni abgeliefert hatte, wurde er den Synodemitgliedern erst am Tag der Versammlung (15.06.2020) verteilt, was für einige Kritik im Vorfeld führte. Die Begründung: Man wolle darüber befinden, ob die Synodalen die Persönlichkeitsrechte der involvierten Personen schützen und den GPK-Bericht entsprechend hinter verschlossenen Türen beraten sollen. Oder soll alles an die Öffentlichkeit, sollen die Medienvertreter dabei sein? Die Mitglieder der GPK ihrerseits plädierten für eine Beratung unter Ausschluss der Medien.

Allein dieses Hickhack sagt einiges über die Überforderung der Verantwortlichen in dieser Krise aus...

Ratsmitglied brach das Schweigen

Schliesslich war es dann Ulrich Knoepfel, ein Glarner Pfarrer, der als Ratsmitglied die Bombe platzen liess. Er teilte mit, dass Sabine Brändlin und Gottfried Locher vom Juni 2018 bis Oktober 2019 eine Liaison hatten. Brändlin habe die Affäre im Frühjahr 2020 im Rat bekannt. Damals befasste sich die Exekutive der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz gerade mit den Vorwürfen von Lochers ehemaliger Mitarbeiterin, welche fast zehn Jahre zurückliegen (Locher soll in den Jahren 2011 bis 2013 gegenüber dieser ehemaligen Angestellten «Grenzverletzungen» begangen haben). Brändlin trat nach ihrem Geständnis zurück. Locher tat dies einige Wochen später.

Wie die NZZ schreibt, soll nun eine Zürcher Rechtsanwältin im Auftrag der Kirche als externe Expertin die Anschuldigungen gegen Locher untersuchen. Die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz EKS steckt damit wenige Monate nach ihrem Start an Neujahr in einer gravierenden Krise. Wie Peter Schmid, Mitglied der Zürcher Synode und Redaktor des Landeskirchen-Forums auf Anfrage von Livenet sagte, bot die erste Synode der EKS ein klägliches Schauspiel. Die Diskussion um die Veröffentlichung des GPK-Berichts nahm so viel Zeit in Anspruch, dass von den übrigen gewichtigen Traktanden nur noch die geplante Fusion der Stiftungen von «HEKS» und «Brot für alle» verhandelt wurde. Die Handlungsfelder der EKS, vom Rat zum zweiten Mal eingebracht, waren zu Beginn der Sitzung wieder von der Traktandenliste abgesetzt worden.

Kommentar: Ein Mensch kann immer enttäuschen, Jesus Christus nicht!

Am Ende ist die schlechte Kommunikation, die bereits den Rücktritt des Ratsmitglieds Brändlin sowie die undurchsichtigen Untersuchungen im Fall Locher begleitet hatte, nur eine Randnotiz. Was in Erinnerung bleibt, ist nach nur einem halben Jahr Evangelische-reformierte Kirche Schweiz (die neue Organisationsform trat am 1.1.2020 in Kraft) der Schock über das Fehlverhalten zweier Führungspersönlichkeiten. Und was auch bleibt, ist ein Scherbenhaufen. Es ist tragisch: Der Mann, der sich für die Glaubwürdigkeit der Reformierten einsetzen wollte, hat sie aufs Gröbste verletzt.

Auch wenn dieser Fall für die Reformierte Kirche von enormer Tragweite ist, sollten wir nicht zu schnell sein mit dem Urteilen oder gar Verurteilen. Da konnten wir «Freikirchler» ja beispielsweise beim Megachurch-Pastor Bill Hybels schon etwas üben. Auch er stolperte, und mit ihm noch viele weitere bekannte Persönlichkeiten. Mir fällt dabei immer die Predigt von Tobias Teichen, dem ICF-Pastor aus München ein, der selbst von einem Leitungsteamkollegen schwer enttäuscht wurde (auch hier ging es um Untreue, siehe Livenet-Artikel vom 28.03.2018 / «Die Krux mit den Vorbilder). Teichen sagte nach dieser Leitungsteamkrise in einer Predigt: «Es ist heikel, den Glauben zu stark von geistlichen Vorbildern und Mentoren abhängig zu machen... Wenn du einen Menschen an die Position stellst, wo nur Jesus Christus hingehört, musst du enttäuscht werden. Auch einem geistlichen Vater kannst du danken, aber das ist immer noch ein Mensch, der dich enttäuschen kann!»

Und Pastor Teichen führt seinen Gedanken weiter, indem er den Umgang mit diesen Personen, welche Erwartungen enttäuscht haben, ganz konkret anspricht: «Also, wie kann man jetzt mit den Menschen umgehen, die versagt haben? – Die Antwort ist von der Bibel her klar: Wir werden nicht die Moralkeule hervorholen oder diese Person anklagen, sondern ihr die Hand entgegenstrecken.»

Auf diesen Pfad möchte ich mich selbst ebenfalls begeben. Auch wenn sich eine nächste Begegnung mit Gottfried Locher (zuletzt traf ich ihn im Herbst 2019 zu einem Interview bei Livenet) bestimmt seltsam anfühlen wird, möchte ich doch auch ihm wie jedem Menschen eine zweite Chance geben. Hat nicht Jesus dies auch mit uns so gemacht?

Zum Thema:
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Datum: 15.06.2020
Autor: Florian Wüthrich
Quelle: Livenet

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