Ferien in der Kirche
Wer ehrfürchtig in Kirchen sitzt und die verzierten Altare und riesigen Orgeln bewundert. Wer gern in hohen Räumen schläft und sich abends eine Kerze anzündet. Wer in den Ferien weniger den Komfort als das Erlebnis sucht, der kommt mit Champing voll auf die Rechnung. Champing ist eine britische Erfindung und kommt von «Church» und «Camping», kurz Champing. Seit 2015 können Interessierte in bisher 21 Kirchen zwischen Gebetsbänken, Altar und Orgel in ganz England übernachten («Sleepover with soul») und mit Blick auf das Kirchendach selig einschlafen.
Im Gegensatz zu einem normalen Hotel ist der Komfort in der Kirche reduziert: Die Betten sind oft nur einfache Liegen, das Geschäft verrichtet man auf Komposttoiletten und waschen kann man sich an aufgestellten Wasserspendern. Camping halt. Für das Champing-Angebot in England gibt es eine Webseite, wo die Angebote beschrieben sind und gebucht werden können. Eine Übernachtung kostet für einen Erwachsenen 49 Pfund (etwa 55 CHF) an Wochentagen und 59 Pfund (etwa 66 CHF) am Wochenende. Das Frühstück wird für 12,50 Pfund angeboten. So kommt man in kleine Orte in England, wo man sonst vielleicht nicht hin käme. Das Abendessen wird im lokalen Pub eingenommen, bevor man dann gemütlich in den Schlafsack beim Altar liegt. Statt TV zu schauen, liest man mal bei Kerzenlicht ein Buch.
Raum für Stille
Natürlich unterscheiden sich die Angebote des Kirchencamping in Grösse und Ausstattung, wie ein YouTube-Video zeigt. Die mittelalterliche All Saints in Aldwincle war die ursprüngliche Inspiration für das Konzept von Champing und ist seither aufgrund ihrer schönen dörflichen Lage, ihrer erhabenen Proportionen und ihrer einladenden Atmosphäre ein fester Favorit für Champers geworden. Die St James' Church in Cooling (Kent) ist für Dickens-Fan ein Muss, da der Friedhof das erste Kapitel des Klassikers «Great Expectations» inspiriert hat.
Und von St Peter's Kirk in Sandwick ganz im Norden Schottlands kann man direkt auf den Ozean schauen. Es gibt Raum für Stille: Obwohl die Gäste oft die wunderbare Akustik der Kirche ausprobieren oder von der Kanzel aus mit lauter Stimme rufen können, sind Kirchen auch Oasen der Ruhe und Stille. Gäste nehmen sich Zeit für die Ruhe, um den Geist aufzuladen und die Sinne zu regenerieren.
Historische Kirchen retten
«Wie Champing Grossbritanniens historische Kirchen retten könnte», titelt die britische Zeitung «The Telegraph». Darin wird erläutert, wie ein neuer Trend dazu beitragen könnte, den alten Gebäuden neues Leben einzuhauchen. Das Konzept spricht viele Menschen an: Menschen, die etwas anderes erleben wollen, Menschen, die seit Jahren keine Kirche mehr betreten haben. Pfarrer Timothy Goode setzt grosse Hoffnung in den Champing-Boom, wie er dem «Telegraph» erläutert: «Es könnte sein, dass durch die Umnutzung der Kirchen auch eine neue christliche Gemeinschaft entsteht.»
Die Kirchen von Champing liegen oft in einer wunderschönen Landschaft und bieten eine Fülle von Wandermöglichkeiten. So können Gäste sich entschleunigen und sich Zeit nehmen, ihre Umgebung zu geniessen und einfach nur zu «sein», anstatt zu «tun». In Deutschland startet diesen Frühling ein Pilotprojekt im Raum Braunschweig unter dem Titel «Church4night». Camper können dann kostenfrei ihre Wohnmobile aufstellen. Das Projekt startet zunächst in der Markus-Gemeinde in Evessen am Elm.
Dieser Artikel erschien zuerst auf Dienstagsmail
Zum Thema:
Gedankenanstösse: «Für alle, die Kirche neu denken wollen»
Salz und Licht im Quartier: «Wir bringen die Kirche zu den Leuten»
Neuste Zahlen zeigen Rekordwerte: Freikirchen entwickeln sich gegen den Trend
Datum: 13.04.2023
Autor:
Markus Baumgartner
Quelle:
Dienstagsmail