Schliessung Sihlcity Kirche

Kirche zum Einkehren oder Einkaufen?

Mitten in einem Shopping-Tempel der Schweiz, in der Zürcher Sihlcity, wurde ein Raum der Stille angeboten. Doch er musste wegen «zu geringer Besucherzahlen» seine Tore schliessen, wozu nun der reformierte Pfarrer seine Erfahrungen teilt.
Sihlcity Kirche
Jakob Vetsch

Die ökumenische «Kirche im Einkaufstempel» in der Sihlcity wurde 2007 eröffnet und musste im Frühling 2019 wieder den Betrieb einstellen. Gleichzeitig wird das Projekt «Raum und Stille» im Glattzentrum gut besucht. Doch weshalb kamen nur wenige Besucher in die Sihlcity Kirche? Was sucht der heutige Mensch? Livenet wollte mehr über die zwölf Jahre Einsatz an der Front erfahren.

Im Gespräch war Livenet mit Jakob Vetsch, dem reformierten Pfarrer und ehemaligen Seelsorger der Sihlcity Kirche. Er ist jetzt auch bei «Raum und Stille» engagiert.

Wo erlebten Sie am meisten Früchte?
Jakob Vetsch:
Das Primäre an unserer Arbeit ist das «Säen», das Helfen, ohne nach Schuld zu fragen und ohne Dank zu erwarten. Aber wir dürfen es immer wieder erleben, dass die Begleitung oder auch einzelne Gespräche wertvolle Hilfestellungen für den zukünftigen Lebensweg einzelner Menschen bieten.

Beschreiben Sie uns bitte eine besondere Begegnung, die Ihnen geblieben ist.
In der Adventszeit brachten wir den freiwilligen Mitarbeitenden «Hosensack-Engeli» zum Auswählen. Welche Freude, als es uns jemand mit leuchtenden Augen entgegenstreckte, als wir vor Ostern wieder kamen, mit der Bemerkung: «Ja, schaut, ich habe es immer mit mir und denke dabei an den Schutz und Segen Gottes.»

Weshalb kamen nur wenige Menschen vorbei?
Das Angebot wurde im Optimismus der damaligen Zeit (März 2007) zu hoch aufgegleist, aber es konnte sich immerhin zwölf Jahre lang (bis April 2019) behaupten. Zudem lag die Kirche an einem sehr peripheren Ort.

Wie erleben Sie sonst das religiöse Interesse der Schweizer? Was suchen sie, Stille, Input, Beziehung?
Der Christusglaube verfügt in den Herzen vieler Menschen in der Schweiz über beachtliche «Reserven». Das kommt merklich zum Vorschein, wenn Leute jeden Alters an ungewohnten Orten darauf angesprochen werden. Jugendliche, gleichermassen wie Bestandene, möchten sich selber in erster Linie verstehen und dann auch von anderen verstanden werden – auch in ihrem Wunsch, gelegentlich zu «Chillen». Viele Menschen erleben wir als Suchende; sie möchten selber finden.

Wie könnte man mehr Leute erreichen, wie würden Sie das Angebot am ehesten anpassen?
Es ist gut, solche Angebote von klein auf wachsen zu lassen; an Orten, wo sich viele Menschen bewegen und wo sie keine Möglichkeit zum Stillewerden erwarten. Und dann einfach immer wieder proaktiv darauf hinweisen, dass es solche Angebote gibt. Wir sind da und das darf man wissen.

Was sind die Unterschiede zum erfolgreichen «Raum und Stille» im Glatt-Zentrum?
Wie es der Name schon sagt, der Raum ist sehr auf die Stille angelegt, und darauf reagieren viele Menschen sehr gut. Das Angebot wurde sehr sorgfältig von klein her aufgezogen und konnte in der Zwischenzeit auch den Standort klar verbessern.

Mehr Infos zum Projekt in Glatt:
Raum und Stille

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Datum: 04.10.2019
Autor: Roland Streit
Quelle: Livenet

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