40 Tage den Alltag zum Leuchten bringen
«Ich bin heute da, weil mich das angesprochen hat. Das mit dem Leuchten: Es geht mal nicht um Verzicht wie sonst immer, sondern um das Positive.» Das sagte eine Teilnehmerin am Infoabend zu unserer Workshop-Reihe «Goldmomente». Exerzitien sind oft eher hochschwellige Angebote, zu denen Menschen ohne kirchliche Vorerfahrung kaum einen Zugang bekommen. Ausgehend von unserer eigenen Sehnsucht haben wir für die Zeit vor Ostern ein Format entwickelt, das versucht, Passionsexerzitien in die Lebenswelt der Münchner Innenstadt zu übersetzen: tiefe Gespräche mit zuvor unbekannten Menschen und ein intensives Innehalten, um sich der eigenen Kraftquellen wieder neu klar zu werden; ein neues Ausrichten für die Anstrengungen des Alltags und ein Eintauchen in wohltuende Praktiken des christlichen Glaubens – und das ohne notwendige Vorkenntnisse.
Das Design von Goldmomente
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops gestalten die 40 Tage vor Ostern bewusst: Jeden Tag meditieren sie mindestens fünf Minuten alleine mit einem Bild- und Gebetsimpuls. Einmal pro Woche trifft sich die Gruppe, teilt die eigenen Erfahrungen der vergangenen und setzt einen Fokus für die neue Woche, angelehnt an eine Zeile des Vaterunsers. Grundlage sind Illustrationen des amerikanischen Künstlers Scott Erickson und Gebetspoesie von Justin McRoberts. Auf Englisch sind sie erschienen in dem Buch «May it be so. Forty Days with the Lord’s Prayer», auf Deutsch gibt es das Kartenset «Goldader. Vierzig Impulse für Gebet und Meditation» von GODNEWS und der Netzgemeinde dazwischen, sowie eine Goldmomente-Reise in der App «Evermore». Für die Struktur und Methodik der Abende haben wir Elemente aufgenommen, die wir beim LUV-Workshop vom Haus kirchlicher Dienste der Evang.-Luth. Landeskirche Hannovers kennengelernt haben.
Kleiner Einblick in den Ablauf der Abende
Mitten aus dem Alltag trifft sich die Gruppe an sechs Abenden im grossen Gemeindesaal der Kreuzkirche. Mit einem Kerzenritual und Taizé-Gesang zu Beginn kommen wir an. Danach eine Achtsamkeits-Meditation und ein Rückblick: Die Grafiken der vergangenen Woche liegen verteilt im Raum aus und die Teilnehmenden können bei leiser Hintergrundmusik daran vorbeigehen und die vergangene Woche Revue passieren lassen. In Zweiergesprächen gibt es anschliessend die Möglichkeit zu erzählen: Was hat mich in der vergangenen Woche berührt? Ähnlich wie bei LUV haben wir Wert auf achtsames, kontemplatives Zuhören gelegt, bei dem nur eine Person spricht und die andere, ohne zu unterbrechen, ein hörendes Herz leiht. Entsteht Stille im Raum und in den Gesprächen, ist dies kein Manko, sondern gewollt und Teil des Prozesses: In der Stille wächst Vertrauen und Klarheit.
Alle sechs Abende des Workshops haben eine Zeile des Vaterunsers zum Thema: Im ca. zehnminütigen Impuls geht es vordergründig nicht um historische oder exegetische Einsichten, sondern in einem eher postmodernen Verständnis um die Kraft, die in den Zeilen für unser heutiges Leben liegt. Ziel der Beschäftigung mit dem Ausschnitt des Gebets ist an jedem Abend eine kraftvolle Frage, die die Verbindung zu unserer Lebenswelt herstellt. «Vater unser im Himmel – Womit verbinde ich mich?» Am Abend ist dann für die Beschäftigung mit der Frage sowohl individuell in einer Journaling-Zeit als auch im Austausch mit den anderen Teilnehmenden in ihrer Circle-Gruppe Raum. Jeder ist einer festen Tischgruppe von fünf bis sechs Personen zugeordnet. Auch diese Gesprächszeit orientierte sich an der Methode des LUV-Workshops: In vier Minuten kann jeder zu der kraftvollen Frage sprechen und dabei das teilen, was ihm/ihr wichtig ist. Die anderen hören achtsam zu.
Den Abschluss des Abends bildet eine Zeit der Stille: Dazu haben wir verschiedene Zugänge und Gedanken aus der kontemplativen Tradition als Impuls angeboten (z.B. Centering Prayer) und nach einem meditativen Lied alle in eine zehnminütige Zeit der Stille entlassen. Ein gemeinsam gesprochenes Vaterunser schliesst die Stille ab. Vor einem Segen blicken wir jeden Abend auf die neue, vorausliegende Woche und die Zeit zuhause, die mit den Bild- und Gebetsimpulsen je individuell gestaltet werden kann.
Wer kommt zu Goldmomente?
Eingeladen wurde zu Goldmomente über unterschiedliche Kanäle und bereits beim Infoabend zeigte sich, dass Menschen aus ganz unterschiedlichen Gründen teilnehmen würden: Am Schaukasten der Kirchengemeinde vorbeigelaufen, auf Instagram Werbung gesehen oder beim Konfi-Elternabend angesprochen wurde aus vorher unbekannten Menschen eine Gruppe aus 34 Leuten. Wir staunten bereits am ersten Abend: 34 zuvor völlig fremde Menschen sitzen in sechs Kleingruppen bei gedimmten Licht und Kerzenschein im Raum. Sie hören sich achtsam zu, schweigen und singen. Einige sind hochverbundene Kirchenmitglieder, andere haben der Kirche schon lange den Rücken zugewandt. Sie sind 25, 37, 56 und 85 Jahre alt, üben unterschiedliche Berufe aus und haben ganz verschiedene Familien-/Lebenssituationen. In den sieben Wochen vor Ostern werden sie zu einer heiligen Gemeinschaft – einer Gemeinde auf Zeit.
Neue Zugänge zu Kirche und Glauben
Wir haben die Erfahrung gemacht: Es ist möglich, in einem urbanen Umfeld Menschen aus unterschiedlichen Milieus, unterschiedlichen Alters und mit sehr unterschiedlicher Kirchen- und Glaubensverbundenheit zusammen Gott im Alltag «suchen und finden» zu lassen, Orte des Redens und Hörens über diese Erfahrungen zu eröffnen und die Kraft alter christlicher Schätze – in diesem Fall das Vaterunser – sich in neuer Sprache entfalten zu lassen. Am Ende sagt eine der Personen über die christlichen Inhalte der Abende: «Ich fand sie sehr bereichernd, weil ich eigentlich den Bezug zur Kirche ganz verloren hatte und mein Glaube jetzt aber wieder deutlich stärker werden konnte durch all die Gedankenanstösse, den Austausch und eure richtig schönen und interessanten Texte.»
Besonders berührend war der Rückblick am letzten Abend. Wir stellen die Frage: «Welche Entdeckungen und Erfahrungen findest du viel zu schön, um ohne sie weiterzuziehen?» Auf der Pinnwand entsteht ein Feld von Goldmomenten: »Dass im Zwiegespräch mit Gott Klarheit wohnt»; »Kirche neu erleben»; «Das bewusste Zuhören ohne zu kommentieren», «Kontemplation wie das Zähne putzen in den Alltag zu integrieren»; «dass die ,leeren‘ Worte des Vaterunsers Inhalt und Gestalt bekommen haben»; «dass sich mein Glaube mit jedem Dienstag vertieft hat».
Der Workshop «Goldmomente. 40 Tage den Alltag zum Leuchten bringen» ist eine Kooperation von Munich Church Refresh, einer MUT-Initiative der Evang.-Luth. Kirche in Bayern und der Evang.-Luth. Kreuzkirche, München. Derzeit wird das Material so überarbeitet, dass es demnächst auch geteilt werden kann. Bei Interesse gerne melden bei daniel.steigerwald@elkb.de.
Zum Thema:
MyLife-Workshop: Ein Lebenskurs für postmoderne Menschen
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Datum: 15.07.2024
Autor:
Nina und Daniel Steigerwald
Quelle:
Magazin 3E 2/2024, SCM Bundes-Verlag