Mutmacher sein

«Kirche hat die Kernkompetenz, zu ermutigen»

In Krisen wie der Corona-Pandemie sind Mutmacher umso wichtiger, sagt der Mentaltrainer David Kadel. Im Interview erzählt er, welchen Beitrag Kirchen dazu leisten können und warum er von der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung enttäuscht ist.
David Kadel (Bild: Gerth Medien)
Buchcover «Wie man Riesen bekämpft»

Als Mental-Trainer begleiten Sie Menschen in Krisen. Wie blicken Sie auf die aktuelle Corona-Krise?
David Kadel: Als Mental-Trainer höre ich im Berufsalltag natürlich auch viel von persönlichen Krisen und Herausforderungen. Das berührt mich sehr, da ich auch fast alle Jobs verloren habe. Trotzdem finde ich, dass viele Menschen in Deutschland gerade auf hohem Niveau jammern – anstatt dankbar zu sein, dass wir diese grösste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg in einem so sicheren und wohlhabenden Land erleben dürfen und nicht in einem Land, nur drei Flugstunden entfernt, in dem die Chance sehr hoch ist, an dem Virus oder der Unterversorgung zu sterben. Aber dass wir Deutschen, in einem der reichsten Länder der Welt, nicht gerade Dankbarkeitsweltmeister sind, hat mich auch vor Corona schon irritiert und gestört.

Wie sind Sie mit Corona umgegangen, Sie selber waren ja auch krank?
Ich hatte selbst fünf heftige Wochen mit dem Virus zu kämpfen. Daher kann ich Menschen nicht verstehen, die Verschwörungstheorien glauben und verbreiten. Diese Krankheit ist kein Spass. Als Mentaltrainer habe ich aber das Anliegen, dass Menschen gerade in Widerständen gestärkt und in ihrem Kopf gewappnet werden. Ideal wäre es, wenn Menschen in dieser Krisenphase durch etwas inspiriert, also berührt werden und deswegen beginnen, gut mit der Krise umzugehen, mit einer neuen Haltung. Das fehlt in Deutschland. Viele wissen gar nicht mehr, wann sie zuletzt von etwas begeistert oder berührt waren.

Was heisst das konkret?
Ich wünsche mir, dass wir dankbar und demütig sind. Wir sollten nicht in den Chor der Besserwisser einstimmen, in dem viele gerade singen. Mich nervt in dem Zusammenhang auch die öffentlich-rechtliche Berichterstattung. Von ARD und ZDF hätte ich mir eine gewisse Mutmach-Haltung gewünscht.

Welche genau?
Ich bin soloselbstständig. Seit April letzten Jahres habe ich einen leeren Terminkalender. Diese beiden Sender sollten uns zeigen, dass es Hoffnung gibt. Stattdessen bringen sie Krimis, Corona-Sondersendungen und Thriller. Bayern-München-Trainer Hansi Flick hat sich kürzlich mehr Mutmacher gewünscht. Das gilt auch für das Vorabendprogramm. Gerade jetzt, wenn manche Menschen depressiv, einsam und suizidgefährdet sind. In Bezug auf die Politik habe ich hier wenig Hoffnung. ARD und ZDF hätten spätestens beim zweiten Lockdown erkennen müssen, dass die Nutzer nicht jeden Abend neue Horrorzahlen brauchen.

Was schlagen Sie also vor?
Beim ZDF arbeiten ganz viele kreative Menschen. Sie könnten mutmachende Sendungen produzieren. Es gibt viele Menschen wie Eckart von Hirschhausen oder Samuel Koch, denen man ein solches Mutmach-Format geben kann, in dem man dem breiten TV Publikum gezielt wahre Mutmach-Geschichten erzählt, die einen zuversichtlich stimmen. Hier könnte man eine bewusste und dankbare Lebenseinstellung thematisieren oder zu Empathie und Solidarität aufrufen, um zu entdecken, wie bereichernd es ist, wenn man anderen hilft, denen es gerade dreckig geht. Ich bin überzeugt: Viele würden diese Sender feiern und sich bedanken. Das wäre eine Riesenchance. Und für die Kirchen übrigens auch. Aus meiner Sicht wäre das ein echtes Alleinstellungsmerkmal in dieser ganzen destruktiven und geballten täglichen Negativität.

Hat sich Ihr Medienkonsum in der Pandemie verändert?
Ich schaue seit einem halben Jahr keine Sondersendungen mehr. Ich kann es nicht ertragen. Alles scheint so hoffnungslos und negativ. Jetzt haben wir Gott sei Dank einen Impfstoff – und zwei Tage später wird das Thema wieder kaputt geredet. Als Christ versuche ich, empathisch zu sein. Ich frage mich, was die negativen Schlagzeilen mit meinen Mitmenschen machen. ARD und ZDF haben einen Bildungsauftrag. Das heisst, dass sie die ganze Bandbreite zeigen sollten und nicht nur die Angst machenden Meldungen. Es passieren so viele positive Dinge in Deutschland. Wir müssen die Situation konstruktiv lösen.

Was können Kirchen und Gemeinden dazu beitragen?
Gerade jetzt sollten die Kirchen aktiv sein und sich zeigen, denn wer sonst als die Kirche hat die Kernkompetenz zu ermutigen? Mutmachgeschichten sind für mich gerade die kostbarste Währung, wertvoller als der Dollar und Öl, weil es im Moment um Leben und Tod geht und Millionen Menschen mit Depressionen zu kämpfen haben. Deswegen habe ich mit Samuel Koch, Heiko Herrlich, Deborah Rosenkranz, Andreas Adenauer und 30 weiteren Autoren ein Mutmach-Buch herausgegeben mit dem Titel: «Wie man Riesen bekämpft». Das wollen wir eine Million Mal verschenken an die vielen Entmutigten und Verzweifelten da draussen.

Wie kann jeder persönlich ein Mutmacher in der Krise sein?
Das geht mit kleinen Dingen in deinem eigenen Umfeld los. Unsere Nachbarn kaufen jede Woche seit über einem Jahr für ältere Menschen ein und versuchen, diejenigen, die sie treffen, zu ermutigen. Offene Ohren und offene Augen für das eigene Umfeld helfen enorm. Ich selbst habe mit unserem Mutmach-Projekt, gemeinsam mit meinen Profifussballern, Mutmach-Events für Kinder und Jugendliche in der Psychiatrie und in Kinderkrebskliniken gemacht und einen Nachmittag mit ihnen verbracht. Dafür gab es tolle Rückmeldungen.

Kann man solchen Optimismus für Krisensituation erlernen?
Menschen können nur dann ein Selbstbewusstsein entwickeln, wenn sie sich ihrer selbst bewusst sind. Das steckt ja in dem Wort schon drin. Es hat Konsequenzen, welche Dinge ich konsumiere. Wenn ich abends fünf Stunden RTL2 schaue und zappe und nebenbei am Handy oder Tablet bin, macht diese Reizüberflutung doch etwas mit mir. Achtsamkeit ist in diesen Monaten ganz wichtig. Zu lernen, in sich hineinzuhorchen und sein Herz zu fragen: Was brauche ich gerade wirklich? Tut mir das gut, was ich gerade mache? Wenn es schon unbedingt abends ein Bildschirm sein muss, anstatt öfter in die Natur zu gehen, was unsere Seele befriedigt, dann kann man sich auch gezielt bei YouTube inspirierende Vorträge zum Thema Zuversicht anschauen oder Biographien von faszinierenden Persönlichkeiten lesen, die einen ermutigen.

Genug Zeit wegen des Lockdowns sollte ja da sein…
Genau. Es geht darum, diese auch sinnvoll zu nutzen, seine Resilienz zu bilden und seine Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Ich habe das Gefühl, dass das die Menschen am besten hinbekommen, die auf ihr Herz hören – und nicht auf den Zeitgeist oder Facebook. Wenn ich auf mein Herz höre, dann fange ich an, Dinge zu hinterfragen: mein Verhalten, meinen Konsum, mein Denken und meine Ängste.

Verraten Sie uns noch, wovon Sie zuletzt begeistert waren?
Ich habe in letzter Zeit einiges gelesen über das Thema «Gottvertrauen» und entdecke in den letzten Wochen ganz neu, wie wohltuend die Haltung des «Loslassens» ist. Dabei habe ich ständig diesen Vers im Kopf aus 2. Mose Kapitel 14, Vers 14, wo Gott sagt: «Ich werde für euch kämpfen und ihr werdet stille sein.»

Dieses Interview ist in der Ausgabe 2/2021 des Christlichen Medienmagazins pro erschienen, das Sie kostenlos unter der Telefonnummer 06441/5667700 oder hier bestellen können. Zum Originalartikel auf PRO.

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Datum: 27.04.2021
Autor: Martin Schlorke
Quelle: PRO Medienmagazin

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