Elternschaft und Beruf

«Mit Stolz Eltern sein!»

Die Sozialpsychologin Nina M. Junker von der Goethe-Universität Frankfurt erforscht, wie sich Familie und Beruf vereinbaren  lassen. Eltern hätten im Arbeitsumfeld sogar Vorteile gegenüber anderen. Am 31. Oktober spricht sie an einer Tagung in Bern.
Dr. Nina Junker

Frau Dr. Junker, wenn Sie Personalleiterin in einem Unternehmen wären, wem würden Sie den Vorzug geben – dem jungen karrierehungrigen Akademiker oder dem frisch gebackenen Familienvater, dessen Augenringe die Nacht erzählen?
Dr. Nina M. Junker
: Wenn ich nur zwischen diesen beiden wählen könnte, würde ich dem Vater vermutlich den Vorrang geben, was an unserem Forschungshintergrund und Wissen liegt. Ich sehe, dass auf der einen Seite der Karrierehungrige sehr attraktiv ist, gerade weil er sich voll und ganz auf die Arbeit konzentrieren kann. Wir wissen aber aus der Forschung, dass Eltern zusätzliche Kompetenzen mitbringen, insbesondere dann, wenn sie sich in der Familie entsprechend engagieren und sich auch um das Kind oder die Kinder kümmern.

Sie haben zuletzt eine umfangreiche Studie zu Elternkompetenzen und Arbeit begleitet. Wird diese Schnittstelle, dieser Transfer, in der Forschung ausreichend bedacht?
Die Forschung ist hier ungefähr seit 2003, spätestens jedoch seit 2006 sehr aktiv, insbesondere bei den amerikanischen Kolleginnen und Kollegen, die den Kompetenzansatz sehr stark vorantreiben. Das ist spannend, weil sich gerade Amerika von der staatlichen Seite her recht wenig in die Familienbelange einmischt. Umso erstaunlicher ist es, dass sie in der Forschung hier Vorreiter sind. In Europa ist es ein Thema, das deutlich weniger im Vordergrund steht. Das Thema «Work­Family­Balance» schon, aber «Balance» ist etwas anderes als «Kompetenz».

Können Sie das genauer erläutern? Was ist anders bei Balance als beim Ansatz des Kompetenztransfers?
Ich würde nicht sagen, dass das eine oder das andere besser ist. Es geht einfach um eine andere Herangehensweise. Die Vereinbarkeitsforschung hat viel mehr im Hinterkopf, dass es Erwartungen auf beiden Seiten gibt, die es zu managen gilt. Es geht aber auch um das Thema Zufriedenheit mit der Vereinbarkeit, also, verbringe ich genügend Zeit in der einen Rolle und involviere ich mich genügend in die andere Rolle, – und wie erreiche ich dabei eine Art Balance. Der Kompetenz­ oder Enrichmentansatz sagt nicht per se «wir brauchen ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen den beiden Rollen», sondern fokussiert die Ressourcen, die entweder in der Familienrolle generiert werden, wie zum Beispiel der Mutter, der es besser gelingt, verschiedene Dinge gleichzeitig zu handhaben. Das gilt aber auch umgekehrt. Auch im Job erwerben wir Ressourcen, die für uns in der Rolle als Vater und Mutter hilfreich sind.

Nützt der Kompetenztransfer tatsächlich dem Arbeitgeber oder womöglich auch beiden?
In unserer aktuellen Studie haben wir sehr offen gefragt: Was sind das für Kompetenzen, welche die Eltern in ihrer Rolle erlernen, und wie können sie diese für den Job nutzen? Hier wird gerade im Selbstbericht der befragten Eltern deutlich, dass in der Tat ein sehr grosser Nutzen vorhanden ist, sie zeigt aber auch, dass dieser Nutzen von vielen Arbeitgebern noch nicht erkannt wird. Wir wollen zum Beispiel auf der Arbeit niemanden haben, der sofort aus der Haut fährt und bei den ersten Problemen sofort in Panik gerät. Wir möchten Mitarbeitende, die mit Bedacht vorgehen, die Probleme abwägen und gute Lösungen für alle Beteiligten finden können. Und hier bietet die Familie natürlich einen sehr guten Nährboden, all das in einem täglichen Umfeld zu gestalten, zu üben und zu trainieren.

Kompetenzen können doch auch in Seminaren und Workshops trainiert werden. Braucht es dazu die Familie?
Das ist eine spannende Frage, vor allem vor dem Hintergrund, dass Arbeitgeber im Schnitt viel Geld für betriebliche Weiterbildung ausgeben. Aber: Wann passiert Lernen? Passiert Lernen, wenn ich für zwei, drei Tage einen Workshop besuche, in dem – im schlimmsten Fall – der Transfer nicht einmal explizit unterstützt wird, oder geschieht Lernen in täglichen kleinen Einheiten, in MicroSessions, die permanent stattfinden, wo ich immer wieder mit ähnlichen Dingen konfrontiert werde, wo ich immer wieder die Möglichkeit habe, mich weiterzuentwickeln – oder eben auch nicht? Und dieses «informelle Lernen» ist eigentlich das Lernen, bei dem wir viel mehr mitnehmen, weil es häufiger und impliziter stattfindet und dadurch auch eher in das Verhalten übergeht.

Was lernen Frau und Mann in der Familie, was woanders schlecht oder gar nicht trainiert werden kann?
Vor allem die Vielfalt. Wir haben die erlernten Skills in unserer Studie in unterschiedliche Facetten unterteilt. Zum einen Softskills, die trainiert werden, Empathie, Perspektivenübernahme, aber auch Skills, die stärker in Richtung Problemlösefähigkeit zielen. Das sind Dinge, die Eltern helfen, strukturiert, zielorientiert und organisiert zu denken und Probleme effektiver zu lösen. Und es sind tatsächlich auch Managementkompetenzen, die hier mit reinspielen.

Wie wichtig ist der Faktor Familie für die Zukunft der Arbeit?
Sehr wichtig. Zum einen bin ich fest davon überzeugt, dass die Elternkompetenzen auch in Zukunft bedeutsam sind, ja noch bedeutsamer werden. Gerade der Umgang mit sich verändernden Situationen ist etwas, was man in der Familie wirklich täglich mehrfach durchspielt, – und dies gleichzeitig auch einer der Faktoren ist, um wettbewerbsfähig zu sein und zu bleiben. Auf der anderen Seite haben wir einen demografischen Wandel, wir haben Veränderungen in der Arbeitswelt. Insofern wird das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie auch in Zukunft immer wichtiger werden, weil es uns ermöglicht, dass mehr Leute in der Arbeit tätig sein können, und entsprechend als potenzielle Arbeitnehmer zur Verfügung stehen.

Welche Tipps geben Sie jungen Müttern und Vätern im Spannungsfeld von Familie und Beruf?
Ich glaube, das kann man nicht auf einen Tipp herunterbrechen. Es ist wichtig für Mütter und Väter, darauf zu achten: «Was lerne ich eigentlich, was trainiere ich da täglich?», und dazu ein Selbstbewusstsein zu entwickeln, das Ganze auch zu kommunizieren. Weiter halte ich es für wichtig, auf die Elternrolle am Arbeitsplatz mit Stolz zu blicken. Das heisst, sie nicht als etwas wahrnehmen, was uns limitiert. Im Beispiel ausgedrückt: Ich bin nicht frustriert, weil ich fünf Minuten zu spät auf der Arbeit erschienen bin, was sich dann auch negativ auf meine Arbeit auswirken wird, sondern ich bin motiviert, weil ich vielleicht heute Morgen schon etwas Cooles erlebt habe, weil ich etwas gelernt, etwas gemeistert habe und mit diesem Selbstbewusstsein zur Arbeit gehen kann.

Zum Thema:
Familienkompetenzen: Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf – neu gedacht
Mehr Unterstützung nötig: Wenn junge Paare Eltern werden
Beruf und Familie: Vereinbarkeit bleibt ein Spannungsfeld

Datum: 09.10.2019
Autor: Andreas Link
Quelle: idea Schweiz

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