Hörbare Ökumene

Renaissance des Glockengeläuts

Das Versammlungsverbot in den Kirchen lockert sich wieder, doch ein Merkmal des Lockdown ist noch jeden Abend zu hören: Landauf landab läuten die Kirchenglocken und rufen die Menschen zum Gebet. Jahrelang spielte das Geläut eine eher untergeordnete Rolle. Momentan erlebt es eine echte Renaissance.
Kirchenturm

Das bekannteste Geläut der Welt ist sicher der Schlag des Big Ben in London. Doch der Uhrenturm mit dem markanten Glockenspiel gehört zu keiner Kirche – das Wahrzeichen Londons ist Teil des Westminster Palace. Susanne Müller zitiert auf evangelisch.de den Glockensachverständigen Claus Huber: «Grundsätzlich ist jeder Glockengebrauch zu befürworten – wenn damit zu Gebet oder Gottesdienst aufgerufen wird.» Tatsächlich werden die Kirchenglocken in Pandemiezeiten wieder deutlich mehr geläutet als vorher – und sie werden auch stärker wahrgenommen. Doch woher kommt der Einsatz von Glocken?

Glockengeschichte

Glocken gab es schon lange. Auch im kultischen Bereich wurden sie schon jahrhundertelang eingesetzt. Wahrscheinlich waren die iro-schottischen Mönche im 6. Jahrhundert die ersten, die sie im christlichen Gottesdienst gebrauchten. Allerdings nutzten sie eher Schellen, mit denen sie Zeichen gaben. Im Mittelalter ab dem 9. Jahrhundert wurden wirkliche Glocken in die Kirchengiebel gehängt und noch einmal zwei Jahrhunderte später begann der Siegeszug der Glockentürme.

Und für eine sehr lange Zeit strukturierten die Kirchenglocken den Tagesablauf der Menschen in ihrem Einzugsbereich. Fast niemand hatte eine Uhr, aber die Glockenschläge gaben die Zeit gut hörbar an. Dabei war die Vermischung von weltlicher und geistlicher Bedeutung von vornherein gegeben. In vielen Regionen gab es sieben tägliche Läutezeiten: morgens, mittags und abends zum Gebet und noch einmal um 9, 11, 15 und 17 Uhr, um an das Leiden von Jesus am Kreuz zu erinnern. Natürlich wurden diese Signale aber genauso genutzt, um Beginn und Ende des Arbeitstages einzuläuten.

Glockengeläut

Doch Kirchenglocken wurde auch immer wieder dazu genutzt, um politische Botschaften weiterzugeben. Huber nennt das bis heute übliche Mittagsgeläut um 12 Uhr als Beispiel. Papst Calixt III. hatte dies 1456 angeordnet, um für den Sieg der Ungarn gegen die einfallenden Osmanen zu beten. So bekam es den Beinamen «Türkenläuten». Heute ruft das 12-Uhr-Läuten in vielen Gegenden zum Friedensgebet auf.

Eine weitere «weltliche» Nutzung ist der Stunden- oder sogar Viertelstundenschlag, der als Zeitansage diente. Die Totenglocke zeigt an, dass jemand verstorben ist, und wo es keine Sirenen gibt, werden Kirchenglocken noch heute als Alarmsignal zum Beispiel bei einem Feuer eingesetzt.

Die verschiedenen Nutzungen illustrieren die Spannung, in der das Geläut stand und noch steht. Praktisch soll es sein, aber kein Störfaktor. Es darf auch auf weltliche Ereignisse hinweisen (wie zum Beispiel die bundesdeutsche Wiedervereinigung 1989), sollte sich aber nicht politisch missbrauchen lassen. In erster Linie war und ist es aber ein Ruf zum Gebet.

Aktuell

An diese ursprünglichste Bedeutung knüpft das aktuelle Abendläuten an, das um 18 oder 19 Uhr in vielen Kirchen stattfindet, und damit – so Huber – «mithilft, bewusst auf die Glocken und ihren Ruf zu Gebet und Gemeinschaft in dieser ernsten Zeit zu hören».

Tatsächlich hat sich in vielen Orten eine regelrechte Gebetskultur entwickelt, wenn abends von evangelischen wie katholischen Kirchen die Glocken klingen und viele Menschen für einen Moment alles stehen- und liegenlassen und das Vaterunser beten. Dabei bringen sich Freikirchler genauso ein wie solche, die sonst nie eine Kirche betreten. Besondere Zeiten verlangen eben besondere Massnahmen. In diesen Momenten ruhen die unterschiedlichen Auffassungen und Menschen kommen mit ihrem Anliegen nach einem Ende der Pandemie zu Gott. Viele geniessen es auch, dass sie damit hörbar nicht allein sind. So erfüllt sich mit dem allabendlichen Glockenläuten etwas, das auf vielen Kirchenglocken als Spruch eingraviert zu lesen ist: «O Land, Land, Land, höre das Wort des Herrn!» (Jeremia, Kapitel 22, Vers 29).

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Datum: 23.05.2020
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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