Schweigen, beten, Bier brauen

Wie Mönche in Belgien das «beste Bier der Welt» brauen

Trappisten wollen beten, arbeiten und schweigen. So wie die Mönche des Klosters Sint Sixtus in Belgien. Dass ihr Bier als das «beste Bier der Welt» gilt, freut sie zwar, es ist aber auch eine Last.
Kloster Sint Sixtus (Belgien)
Bierauslieferung im Kloster
Hinter alten Klostermauern gibt es in Sachen Bierbrauen moderne Technik

Normalerweise wollen Trappisten ihre Ruhe haben. Seit 130 Jahren gibt es diesen Orden, der sich, wie viele andere Mönchsorden, auf die Benediktregeln bezieht. Die Richtlinien von Benedikt von Nursia (480–547) sehen vor, dass gläubige Menschen abgeschieden von der Welt zusammenleben sollen.

Mönchen wird die Bude eingerannt

Die Mönche verdienen in der Regel ihren Lebensunterhalt durch ein eigenes Handwerk, das sie entwickelt haben. Das kann Käse sein, ein gutes Brot oder Likör. Wenn ein gutes Trappisten-Produkt bei den Leuten ausserhalb der Klostermauern gut ankommt, können die Mönche gut davon leben.

Bei den Mönchen des Klosters Sint Sixtus in Nordbelgien läuft es nicht nur gut. Seit dem Jahr 2005 rennen die Menschen den Mönchen regelrecht die Bude ein. Das kam so: In jenem Jahr stufte die amerikanische Webseite RateBeer.com, auf der Biere international bewertet werden, das Bier «Westvleteren» von der Abtei Sint Sixtus auf Platz eins. «Das beste Bier der Welt» ist ein Label, das seither dem Bier aus dem kleinen belgischen Kloster anhängt. Niemand dort würde dies als Werbespruch verwenden. Aber was einmal in der Welt war, gehörte seitdem wie selbstverständlich zum Bier der Mönche dazu.

Durch Tricks zu mehr Bier

Niemand darf mehr als zwei Holzkisten zu je 24 Flaschen kaufen. Das verspricht der Käufer zumindest an der Kasse beim Kauf. Das Bier der belgischen Mönche ist mittlerweile aber so begehrt, dass viele Leute Tricks angewandt haben, um an mehr Flaschen zu kommen. Sie verkaufen sie dann für einen vielfachen Preis in irgendeiner Kneipe in Brüssel oder im Internet. Das finden die Mönche natürlich nicht gut, und sie begannen damit, den Verkauf genauer zu kontrollieren. «Einmal habe ich von meinem Fenster aus einen Lastwagen an der Klostermauer stehen sehen», berichtet ein Mönch. «Immer wieder gingen ältere Damen zu unserer Verkaufsstelle und brachten die Bierkisten zu dem Lastwagen. Anschliessend stellten sie sich wieder an und kauften noch mehr Bier.» Es soll auch Leute geben, die sich nach dem ersten Bier-Kauf eine Baseball-Mütze und eine Brille aufsetzen und sich erneut anstellen, in der Hoffnung, nicht erkannt zu werden.

Es ist gar nicht so einfach, an die Mönche heranzukommen. Es bedarf mehrerer Anläufe, um irgendwann einen Mönch ans Telefon zu bekommen. Und recht bald wird betont, dass man nicht auf das «beste Bier der Welt» reduziert werden mag. Sie seien Mönche, die in einem normalen Kloster lebten, das Bier sei nur ein Teil von ihnen. Im Kloster geht es um Gott, nicht um Bier. Deswegen fragt man mich, ob ich nicht einen ganzen Tag miterleben wollte, 24 Stunden Klosteralltag hautnah. Ich willige ein und mache mich nicht nur auf eine Begegnung mit dem besten Bier der Welt gefasst, sondern auch auf meinen ersten Einblick in das Leben in einem Kloster.

Sieben Gebetszeiten am Tag

Als erstes fällt auf: Hier in der Region Westflandern gibt es nicht viel. Ausser Feldern und Bauernhöfen wird das Auge nicht durch irgendetwas abgelenkt. Eine gute Gegend, um als Mönch zu leben. Schon im erfolgreichsten französischen Film aller Zeiten, «Willkommen bei den Sch'tis», wurde die Gegend sprichwörtlich zur kalten Einöde, in die niemand wirklich will.

Ein sympathischer Mönch, Bruder Godfried, führt über das Gelände, auch hinter die Klostermauern, hinter die die normalen Kunden nicht so einfach kommen. Hinter einem Tor, das meistens geschlossen bleibt, ist Schluss für die Besucher aus aller Welt, die sich vor allem für das Bier interessieren. Bruder Godfried, der Prior der Abtei ist – also so etwas wie der Verwalter –, ist seine Liebe zu «seinem» Kloster anzumerken. Das Bier ist tatsächlich – Nebensache.

Bruder Christian: «Ich liebe Gott!»

Der Tagesablauf der Mönche ist getaktet durch das Stundengebet: 4 Uhr Nachtwache, 7 Uhr Laudes, 9 Uhr Terz, 12.15 Uhr Sext, 14.15 Uhr Non, 17.15 Uhr Vesper und um 19.30 Uhr Komplet. Dazwischen die Mahlzeiten. Da bleibt nicht viel Zeit übrig, um auf dumme Gedanken zu kommen. Vielleicht ist das eines der Geheimnisse von Benediktus, der sich dieses klösterliche Leben ausgedacht hat, das in vielen Klöstern weltweit praktiziert wird. Es bleibt indes genug Zeit für Meditation, für das Schweigen und das Beten.

Auf die Frage, warum er sich dieses Leben ausgesucht hat, antwortet Bruder Christian, ein Deutscher, zwei Dinge: «Ich liebe Gott», sagt er mit einer Bestimmtheit und einem zufriedenen Lächeln, die keinen Zweifel aufkommen lassen. Und weiter: «Schon als Kind habe ich regelmässig ein Kloster bei uns in der Nähe aufgesucht und ich fand es faszinierend. Mit fünf Jahren wusste ich bereits, dass ich Mönch werden will.» Bruder Christian lebte früher in der Abtei Mariawald in der Eifel. Die wurde jedoch geschlossen, weil es dort irgendwann zu wenig Mönche gab. Das Niederländische eignete er sich schnell an.

Alle schweigen, auch die Gäste

Prior Godfried bleibt vor dem schicken, schwarzen Gebäude stehen, in dem die Mönche wohnen. Es wirkt modern und könnte genauso gut ein Tagungszentrum sein. Die hohen Fenster reihen sich in regelmässigen Abständen nebeneinander. «Diese Regelmässigkeit, die man hier auch an der Architektur sieht, bestimmt auch unser Leben», sagt Godfried. Der Tag ist strukturiert, und in dieser Gesetzmässigkeit bleibt Raum für das Versinken in Gott. Traditionell sind Trappisten Schweige-Mönche. Diese Regel wurde im Laufe der Zeit jedoch etwas gelockert, und es gibt durchaus Orte, an denen die Mönche untereinander und mit Aussenstehenden reden. Dennoch wird darauf Wert gelegt, dass etwa die Mahlzeiten schweigend eingenommen werden, und auch im Gästehaus soll geschwiegen werden. Symbolbilder an den Türen und Wänden weisen darauf hin.

Fast immer befinden sich im Kloster auch Gäste, meistens sind es sogar mehr als Mönche dort leben. Viele kommen für zwei bis drei Tage, um einmal im Jahr vollkommen abzuschalten. Sie nehmen die Mahlzeiten ohne die Mönche ein, aber ebenso wie sie schweigend. Und das führt überraschenderweise zu einer seltsamen Erfahrung. Während von einem CD-Spieler Klaviermusik ertönt, sitzt man mit wildfremden Menschen an Tischen, doch wo normalerweise wie selbstverständlich das Gespräch beginnen würde («Wo kommst du her? Was machst du?»), starrt man hier nur auf den Teller vor sich, oder verlegen auf seine Hände. Auf einmal wird jede Bewegung mit Bedeutung aufgeladen, die Körpersprache wird zur einzigen Kommunikation.

Hochmoderne Brauerei

Gegründet wurde das Kloster Sint Sixtus im Jahr 1831. Bereits acht Jahre später erhielten die Mönche von König Leopold I. die Lizenz zum Bierbrauen. Im Ersten Weltkrieg kamen viele Tausend britische Soldaten in das Gebiet. Sie belagerten auch das Klostergelände – und freuten sich enorm über das dortige Bier. Im Jahr 1922 erweiterten die Mönche erstmals die Brauerei. Heutzutage handelt es sich um eine moderne Anlage, wie man sie bei kommerziellen Brauereien auch findet. Das Dach ist mit Solar-Panels bestückt, das genutzte Wasser der Brauerei wird in der eigenen hochmodernen Wasserwiederaufbereitungsanlage gereinigt und wieder dem Wasserkreislauf zugeführt. «Nachhaltigkeit gehörte schon zum Grundprogramm der Mönche, bevor es dieses Wort überhaupt gab», klärt der Prior auf.

Bete, arbeite – ohne Stress

Von dem Geld, das das international hochgelobte Bier einbringt, können die Mönche inzwischen gut leben. Mehr als das: Das überschüssige Geld kommt anderen Klöstern zugute, wie es die Tradition will; auch Klöster in Afrika werden unterstützt. Die Menge des produzierten Bieres erhöhen die Mönche aber nicht. «Bete und arbeite» lautet die Regel Benedikts, und nicht «bete und mache immer mehr Profit». Die Mönche stressen sich nicht. Der durchstrukturierte Alltag und die Gebetsstunden bleiben erhalten.

Mittlerweile hat die Klosterleitung auch ausgebildete Brauerei-Mitarbeiter eingestellt. Den Brauprozess aber überwacht weiter ein Mönch. Bruder Joris ist erst kaum zu einem Wort zu überreden. Erst nach und nach bricht er sein Schweigen. Dann sagt er jenen Satz, den man in Sint Sixtus öfter hört: «Wir Mönche leben nicht, um zu brauen, sondern wir brauen, um zu leben!» Bruder Joris klärt auf: Es gibt drei Sorten Bier aus St. Sixtus: «Westvleteren 6», genannt «Das Blonde», mit einem Alkoholgehalt von 5,8 Prozent. Ausserdem Nummer 8 (das Braune) mit 8 Prozent, und schliesslich das Starkbier Nummer 12 mit 10,2 Prozent. Vom Trubel um das Bier sind die Mönche auch manchmal genervt. So schön es auch ist, dass alle gut davon leben können – so bleiben alle eben doch Mönche, die eigentlich ihre Ruhe haben wollen.

Temperatur und Zeit

Zum Rezept wollen die Mönche nicht viel sagen. Bruder Joris deutet nur an: Die Temperatur spielt eine wichtige Rolle. Also wann und wie lange die Maische erwärmt wird und wann es Zeit ist, sie umzufüllen. Der zweite wichtige Faktor ist die Zeit. Das Bier Westvleteren entsteht mit einer wichtigen Zutat, die in kommerziellen, weltlichen Brauereien oft ignoriert wird: mit viel Zeit. Und davon haben die Mönche genug. Auf das Deutsche Reinheitsgebot angesprochen, demzufolge ein Bier nur Bier genannt werden darf, wenn es ausschliesslich aus Hopfen, Malz, Hefe und Wasser hergestellt wurde, lächelt Bruder Joris, der Qualitätsprüfer des berühmten Bieres. «Das interessiert uns nicht», fügt er hinzu. In Belgien, dem Land der tausend Biersorten, hält man von der strengen deutschen Regel nichts. Und doch ist die Herstellung von Westvleteren gar nicht so weit weg vom Reinheitsgebot, wahrscheinlich würde es in Deutschland als Bier durchgehen.

Warum Mönche und Bier so gut zusammenpassen, will ich von Bruder Joris wissen. Der sagt, das habe damit zu tun, dass im Mittelalter das Wasser nicht immer rein war. Man musste immer befürchten, abgestandenes, ungesundes Wasser zu trinken. Bier hingegen war, da es abgekocht war, zuverlässiger.

In der Abfüllanlage und im Lager fällt schnell noch etwas anderes auf, das das Bier aus Sint Sixtus von anderen unterscheidet: Die Flaschen tragen – als einziges Bier in Belgien – kein Etikett. Schlichte, braune Flaschen verlassen die Brauerei in einfachen Holzkisten. Alles, was der Verbrauer wissen muss, das Haltbarkeitsdatum, der Name und die Inhaltsstoffe etwa, steht auf dem Kronkorken. Die leeren Flaschen und die Deckel des Westvleteren-Bieres sind begehrte Sammler-Objekte im Internet. Es gibt keine Marketing-Abteilung im Kloster, keine Werbeanzeigen. Warum auch? Der Geheimtipp aus Belgien verkauft sich von selbst.

Vor einiger Zeit hatten die Mönche ein «Biertelefon» eingerichtet. Dort konnte jeder auch von ausserhalb Bier bestellen, und wenn es fertig ist, was manchmal auch erst nach Monaten der Fall sein kann, konnte man es an einem bestimmten Tag vorm Kloster abholen. Doch technisch versierte Kunden hatten das System überlistet und konnten so öfter als andere Kunden bestellen. Nun sind die Mönche auf eine Webseite umgestiegen, wo es gerechter zugeht.

Es bleibt dabei: Das Bierbrauen ist nicht der Kern. Wer in Sint Sixtus lebt, will Gott suchen, nicht reich durch Bier werden.

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Datum: 06.12.2019
Autor: Jörn Schumacher
Quelle: PRO Medienmagazin | www.pro-medienmagazin.de

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