«Unvorstellbar exakte Feinabstimmung spiegelt Designer»
Astrophysiker Norbert Pailer. Im Interview mit Livenet gewährt er
einen faszinierenden Einblick ins All.Norbert
Pailer, können christlich orientierte Wissenschaftler genauso gute Forscher
sein wie Atheisten?
Norbert
Pailer: Wer meint, dass Naturwissenschaftler
nicht religiös sein können, hängt dem mechanistischen Weltbild des 19.
Jahrhunderts an. Damals schien es, als liesse sich die Welt im Prinzip durch
die Bewegung und Kollision kleinster Partikel erklären. Der
nicht religiöse Naturwissenschaftler versucht, alles, was ist, auf
physikalische Grössen und Prozesse zu reduzieren, man spricht von Determiniertheit. Für
den gläubigen Forscher besteht der Sinn im Wirken des Schöpfers, der die Welt
im Innersten zusammenhält. Beide Einstellungen sind Glaubenssache, sind
möglich, sind naturwissenschaftlich weder zu beweisen noch zu widerlegen,
beeinflussen auch keineswegs die Methodik und die Ergebnisse der Forschung. Ob
ein Forscher diese Fragen für sich als Atheist oder als tief Glaubender
beantwortet, bleibt seine persönliche Entscheidung. Aber
kein ungläubiger Wissenschaftler, der ein wenig begrifflich geschult ist,
versucht, Sinnfragen auf physikalische Kategorien zu reduzieren.
Was
ist das Neuste, was Sie beim Erforschen am Universum fasziniert hat?
Sicher
gibt es immer wieder faszinierende Entdeckungen am Nachthimmel, wie das erste
Bild eines Schwarzen Loches, das Bild eines extrasolaren Planetensystems in der
Mache. Aber
ein wesentlicher Durchbruch von grundsätzlicher Art gelang mit dem wiederholten
Nachweis von Gravitationswellen als weiterem «Fenster ins Weltall» neben
elektromagnetischer Strahlung und hochenergetischen Teilchen. Von
Einstein – wegen seines geringen Effekts als nicht nachweisbares Phänomen –
vorhergesagt, erfolgte 2015 erstmals mit grossem Aufwand der Nachweis von
Gravitationswellen. Heute wird bereits an der Auslegung eines Satellitensystems
entwickelt, das diese Schwankungen der Raumzeit vom Weltraum aus ohne irdische
Störungen systematisch erfassen soll. Aus
allgemein anerkannter Sicht ist die Entdeckung der von Albert Einstein
vorhergesagten Gravitationswellen die aufregendste Sache gewesen. Man stelle
sich vor, dass vor ziemlich genau 100 Jahren Albert Einstein das «Beben der
Raumzeit» mit Block und Bleistift abgeleitet hat, das zu jener Zeit letztlich
als Effekt anerkannt wurde, aber ein Nachweis dessen wurde wegen seiner
Kleinheit so gut wie ausgeschlossen.
Nun wurde nach der ersten erfolgreichen Detektion von Gravitationswellen auf der Erde und der erfolgreichen Weltraummission LISA Pathfinder vor kurzem die Entwicklung einer Weltraummission, genannt LISA (Laser Interferometer Space Antenna), in ESAs Wissenschaftsprogramm aufgenommen; der Start ist für das Jahr 2035 vorgesehen. Gravitationswellen wurden das erste Mal durch das bodenbasierte System LIGO (Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory) im September 2015 detektiert, wobei LISA die bodengestützten Messungen in einem sonst nicht erreichbaren Frequenzbereich im Weltraum vermessen soll. Durch die Detektion von Gravitationswellen wird ein ganz neues Fenster zum Weltraum eröffnet. Im Sinne von Gravitationswellen sollte auch ein Urknallereignis – falls es je stattgefunden haben sollte – als Erschütterung der Raumzeit hiermit nachweisbar sein.
Astrofotografie
bezeichnen Sie als einen der schönsten Gründe, nachts nicht zu schlafen – über
welche Aufnahmen haben Sie sich zuletzt gefreut?
Astrofotografie
ist ja eine raffinierte Angelegenheit geworden. Entgegen der klassischen
Fotografie wird hier nicht ein Bild gemacht, sondern unterschiedliche Serien – die
meisten zur Korrektur unvermeidlicher Fehler – aufgenommen, um diese dann
softwaremässig zu einem Bild zusammenzuführen. Da gehört eine Menge Erfahrung
im Umgang mit Aufnahmen und der Auswahl geeigneter Programme dazu, um ein
Optimum zu erreichen. Das ist ein spannender Prozess. Mein aus dieser Prozedur
gewonnenes schönstes Bild ist das Sternentstehungsgebiet im Orionnebel M42. Irgendwo
bei einem Vortrag habe ich dieses Bild im Vergleich zum besten Bild des
Hubble-Weltraumteleskops gezeigt. Und da meinten einige meiner Zuhörer – wohlwollend –, dass mein Bild das schönere sei…
Woran
erkennen Sie Gott, beim Betrachten des Universums?
Schönheit,
Raffinesse, Dimensionen, Leere, unvorstellbar exakte Feinabstimmungen,
gleichzeitig gewalttätigste Prozesse, die in jedem Stern und somit auch in
unserer Sonne vorgehen und durch die der Erhalt unseres – meist angenehmen –
Lebens auf der Erde erst möglich ist; darin sehe ich das Wirken eines
unglaublich weisen Designers gespiegelt.
Welche
jüngsten Erkenntnisse oder Entdeckungen im Universum sollten Ihrer Ansicht nach
die Menschen an einen Schöpfer glauben lassen?
Ich
bekenne gerne, dass der Blick zum Himmel meinem Glauben zuträglicher war als
meinem Wissen. Objektiv
gesehen, führen solche Entdeckungen zum Staunen, aber nicht notwendigerweise zum
Glauben an einen Schöpfer. Das sind am Ende unterschiedliche Kategorien. Aber
flankierende Massnahmen zu glaubensbezogenen Aspekten könnte ich unzählige
anführen. Sie sind teilweise in meinen Büchern nachzulesen – und müssten immer
wieder aktualisiert werden, weil weitere freigelegt werden.
In einem früheren Interview mit uns haben Sie beschrieben, dass sich das Universum
immer schneller ausdehnt. Welche Schlüsse – gerade im Hinblick auf einen Urknall – lassen sich heute
daraus schliessen?
Die
beschleunigte Expansion hat nach unserem heutigen Verständnis weniger mit der
Urknalltheorie zu tun als mit einer sogenannten Dunklen Energie, die man zur
Erklärung einführt – und allerdings bis heute vergeblich sucht: Eine «Antigravitationskraft»
sollte den Kosmos seit einigen Milliarden Jahren zusätzlich beeinflussen im
Sinne einer beschleunigten Expansion. Die
Urknalltheorie kommt eher dadurch in die Kritik, als durch genaueres Hinsehen
und Detaillieren angesetzter Prozesse im Laufe der Zeit zum Beispiel weitere
Elementarteilchen und Wechselwirkungsteilchen gefordert werden. Diese
Erkenntnisse wiederum lassen zunehmend die Frage aufkommen, ob sich die Physik nicht
verlaufen habe, denn wir haben bereits einen ganzen Zoo von Elementarteilchen.
Manche vergleichen deshalb diese Theorie heute mit einem falsch zugeknöpften
Hemd, bei dem einige Knopflöcher passen. Andere tun das partout nicht…
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Datum: 01.09.2020
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet