Flüchtlingsschicksal

Von der Schwierigkeit, anzukommen

Seit drei Jahren leben Masud und Jala (Namen geändert) als Asylanten in Deutschland. Sie sprechen die Sprache bereits ganz gut – allerdings nicht so fliessend wie ihre beiden Kinder. Sie sind das, was man «integriert» nennen kann, und sie fühlen sich zu Hause. Aber eigentlich wollten sie den Iran gar nicht verlassen.
Junges Paar sitzt auf einer Brüche

Masud hatte einen guten Job als Moderator bei Radio und Fernsehen, und Jala arbeitete in der iranischen Ausländerbehörde. Sie verdienten gut, hatten viele Freunde und waren angesehen. «Natürlich» waren sie Muslime – sie kannten es nicht anders. Doch eines Tages kam ein Antragsteller zu Jala ins Büro, der Christ war. Er wollte ausreisen, durfte aber nicht. Der Fall beleidigte den Gerechtigkeitssinn der jungen Frau. Wieso sollte dieser Mann nicht ausreisen dürfen? Nur weil er Christ geworden war? Sie wandte sich an ihren Vorgesetzten, doch der machte ihr sehr deutlich, dass jedes Entgegenkommen für den Christen Konsequenzen für die ganze Abteilung, aber vor allem für sie persönlich haben würde.

Fast täglich kam der Mann vorbei – und Jala sprach mit ihm und einer Frau, die ihn bei seinem Anliegen unterstützte, über den Glauben. Die Frau lud sie zu einer Art Hauskirche ein. Jala war erst sehr vorsichtig. Sie wusste nicht so recht, worauf sie sich einliess, doch irgendwann ging sie dorthin. Und sie kam wieder. Immer wieder. Jala hatte Angst, selbst eine Bibel zu besitzen, aber dort bei ihren neuen Freunden las sie viel darin. Und nach einer Weile wollte sie mit Jesus Christus leben. Als sie dem Antragsteller eigenmächtig die Ausreise genehmigte, wurde sie von ihrem Chef entlassen.

Scheidung, Gefängnis oder Flucht?

Masud bekam das Ganze zunächst nur aus der zweiten Reihe mit. Und nach Jalas Entlassung rieten ihm seine Eltern: «Lass dich von ihr scheiden. Mit ihr wirst du nur Probleme haben.» Doch das kam für ihn überhaupt nicht infrage. Er liebte seine Frau und seine Kinder – stattdessen wollte er mehr von diesem Jesus erfahren, der das Leben von Jala spürbar verändert hatte.

Auch Masud besuchte die Hauskirche. Irgendwann bekamen die beiden einen Anruf: «Kommt heute lieber nicht zur Kirche, die Polizei war da.» Sie wurden also schon beobachtet, und als einige Christen in ihrer Umgebung verhaftet wurden, entschlossen sie sich zur Flucht. Sie packten das Notwendigste zusammen, setzten sich ins Auto und fuhren mit den Kindern nach Teheran. Dort tauchten sie unter. Schnell wurde ihnen klar, dass es nicht reichte, sich für ein paar Wochen zu verstecken. Jala musste das Land verlassen. Und Masud entschied sich doppelt: Er wollte mit seiner Frau gehen, und er wollte ebenfalls mit Jesus leben. Einen Monat später flogen sie mit falschen Papieren nach Istanbul in die Türkei und von dort mit ihren richtigen Ausweisen nach Deutschland, weil sie dort bereits Verwandte hatten.

Neuanfang in Deutschland

Jala und Masud hatten das Glück, dass man ihnen hier ihren Wechsel zum christlichen Glauben abnahm, so wurde ihr Asylantrag relativ schnell anerkannt. Ihr neuer Glaube war ihnen auch in der neuen Umgebung wichtig. Direkt nach ihrer Flucht – Sonntag nachts um zwei waren sie in Köln gelandet – besuchten sie vormittags bereits einen Gottesdienst. Sie genossen die Gemeinschaft mit ihren neuen Geschwistern. Manche rieten ihnen, sich schnell taufen zu lassen, weil sie damit ihre Chancen beim Asylantrag erhöhen würden. Sie taten es – aber erst nach ihrer Anerkennung.

Doch die Taufe bedeutete auch Stress für sie: In der Flüchtlingsunterkunft war allen anderen klar, dass man nicht einfach aufhören kann, Muslim zu sein. Das wurde ihnen auch immer wieder gesagt und handgreiflich unterstrichen. Jala fand keinen Platz mehr zum Kochen in der Gemeinschaftsküche, und Masud wurde immer wieder gerempelt und gestossen. Niemand tat ihnen ernsthaft weh, aber die Anfeindungen und Drohungen zermürbten sie – und sie hatten auch Bedenken, was die Situation für ihre Kinder bedeuten würde.

Angekommen

So waren sie froh, als sie von der Erstaufnahmeeinrichtung in ein Heim und dann eine eigene Wohnung ziehen konnten. Heute wohnen Jala und Masud in der Nähe von Giessen. Sie besuchen eine Freikirche bei sich am Ort und engagieren sich dort in der Jungschararbeit. Sie haben viele und gute Kontakte zu Einheimischen wie auch zu anderen Geflüchteten. Ihre Kinder gehen zur Schule und haben Freunde gefunden. Manchmal finden sie es blöd, dass sie eine andere Hautfarbe und «seltsame» Namen haben, aber meistens spielt das in ihrem Alltag keine Rolle. Sie besuchen den Kindergottesdienst, schauen gern die «Spiderman»-Filme und schlagen Wurzeln in ihrer neuen Heimat.

Masud versucht gerade, seinen Bachelorabschluss anerkennen zu lassen, um eine Arbeit zu finden, und Jala träumt davon, ehrenamtlich anderen zu helfen, die nur Farsi sprechen. Eigentlich tut sie es bereits die ganze Zeit. Die Familie hat den Weg nach Deutschland nicht ganz freiwillig gesucht. Und es tut ihnen weh, dass zum Beispiel Masuds Filmbeiträge bei Youtube gelöscht werden, weil er Christ geworden ist, dass der Kontakt zur Familie und vielen alten Freunden schwer oder unmöglich geworden ist und sie nicht wieder in ihre Heimat zurückkönnen. Aber so langsam kommen sie innerlich in Deutschland an. Und sie fragen sich, was Gott hier mit ihnen vorhat.

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Datum: 19.10.2020
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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