Theologe Walter Dürr

Von der Macht des Heiligen

Die 8. Studientage an der Uni Freiburg beschäftigen sich mit der Macht des Heiligen in einer entzauberten Welt. Der Drang nach Autonomie, Weltverfügbarkeit und Fortschritt ist für unsere Zeit wegweisend geworden. Welche Konsequenzen hat das für die Religion, den Glauben und die Kirche? Darüber sprach IDEA mit Dr. Walter M. Dürr, dem Direktor des Studienzentrums Glaube und Gesellschaft.
Dr. Walter M. Dürr (Bild: IDEA / Rolf Höneisen)

Was führte dazu, das Heilige zum Thema der kommenden Studientage zu machen?
Dürr:
Das Heilige ist der Kern unseres Glaubens. Gott fordert uns Menschen auf, heilig zu sein, wie er heilig ist, man vergleiche mit 1. Petrus Kapitel 1, Vers 16. Auslöser für eine Konferenz zum Thema war dann das wichtige Buch von Hans Joas mit dem Titel «Die Macht des Heiligen». Darüber wird der bekannte Sozialphilosoph an den Studientagen in Freiburg reden.

Was ist daran besonders spannend?
Interessant ist die Frage, wie ein Soziologe von Rang dazu kommt, in einer vermeintlich säkularen Welt über das Heilige nachzudenken und dabei eine alternative Geschichte zur «Entzauberung» schreibt. Damit kontert er die im Westen weit verbreitete Meinung, wonach die Säkularisierung quasi ein Naturgesetz sei, wo mit zunehmendem Einfluss von Wissenschaft und Technik die Menschen immer gebildeter und gleichzeitig Gott in den modernen Gesellschaften immer unwichtiger werde. Dagegen zeigt Joas, dass das Heilige nicht aus unserer Welt verschwunden ist.

Vor 500 Jahren war Gott eine gesetzte Grösse. Was brachte diese Sicht ins Wanken?
Das ist ein hochkomplexer Prozess. Vor 500 Jahren haben selbst Nichtchristen daran geglaubt, dass es eine Ordnung über dem Menschen gibt, dass es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt als wir Menschen verstehen. Man konnte durchaus auch nicht an Gott glauben, musste dies aber begründen. So war die Weltsicht damals. Sie hat sich dramatisch verändert: von einem metaphysischen zu einem naturalistischen Weltbild. Inzwischen gibt die Naturwissenschaft vor, die Welt mehr oder weniger erklären zu können. In ihren Methoden und Gleichungen kommt aber Gott per Definition nicht vor, deshalb fragen sich heute viele Menschen, ob es Gott überhaupt noch braucht, wenn wir doch alles selber verstehen und die Welt selber gestalten können. Dabei ist zu sagen, dass wissenschaftliche Methoden sinnvoll sind. Sie dürfen aber nicht zu einem System hochstilisiert werden, das meint, durch methodische Reduktion die Wirklichkeit restlos zu erklären. Neuere wissenschaftliche Theorien sind sich dieser Grenzen der Wissenschaft auch bewusst. Aus christlicher Sicht gibt es mehr, als wir Menschen mit unseren wissenschaftlichen Modellen begreifen können.

Wie wollen Sie darauf reagieren?
Indem wir aufzeigen, dass die Säkularisierung in Europa kein Naturgesetz ist, sondern ein Prozess, der auch anders hätte verlaufen können und zum Teil anders verlaufen ist, als es viele Säkularisten zugeben möchten. Das zeigt allein schon die Tatsache, dass der Rest der Welt eine andere Sicht auf die Religion hat. Hans Joas sagt es ungefähr so: «Ihr meint, ihr habt eine säkulare Welt. Aber da sind nach wie vor Dimensionen, Grenzbereiche und Räume, wo die Macht des Heiligen durchdrückt.» Wir fragen nach dem Heiligen und wie wir es für uns persönlich neu entdecken, kultivieren und für die Gesellschaft wieder erfahrbar machen können.

Angesichts der aktuellen Zeitereignisse hätte der Titel der Studientage wohl eher lauten sollen «die OHNmacht des Heiligen»…
Im westlichen Christentum herrschte lange die Meinung vor, man könne dem Evangelium mit Macht zum Durchbruch verhelfen. Daraus wuchs ein System, das tausend Jahre Bestand hatte, jetzt aber zerfällt. Die konstantinische Zeit kommt an ihr Ende und damit die Zeit, in der die Kirche politische Macht hatte. Im Kontext des Evangeliums verstehe ich «Ohnmacht» nicht negativ. Jesus selbst demonstrierte, wie Ohnmacht die ganze Welt nachhaltiger verändern kann als das, was viele unter «Macht» verstehen. Es geht beim Heiligen um den feurigen Kern des christlichen Glaubens und nicht um religiöse Machtpolitik. Es liegt nun an den Beitragenden der Studientage, dieses Thema zu entfalten.

Lesen Sie das vollständige Interview im Magazin IDEA 15-2021.

8. Studientage «Die Macht des Heiligen», 16. bis 18. Juni 2021:

«Seid heilig, weil ich heilig bin!» (1. Petrus 1,16). Was bedeutet der Ruf nach dem Heiligen heute? Der Drang nach Autonomie, Weltverfügbarkeit und Fortschritt ist für unsere Zeit wegweisend geworden. Welche Konsequenzen hat das für die Religion, den Glauben und die Kirche? Die 8. Studientage an der Uni Freiburg beschäftigen sich mit der Macht des Heiligen in einer entzauberten Welt. Neben dem deutschen Soziologen Hans Joas sind Vertreterinnen und Vertreter aus Kirche, Akademie und Kultur aus dem In- und Ausland daran beteiligt. Derzeit gehen die Organisatoren davon aus, dass sie die Studientage – mit einem entsprechenden Schutzkonzept – vor Ort in Freiburg durchführen können. Weil die Platzzahl stark beschränkt ist, wird die Konferenz als Hybrid-Tagung durchgeführt (Möglichkeit zur Teilnahme via Livestream). Anmeldungen werden chronologisch aufgelistet – anschliessend steht nur noch die Teilnahme via Live-Stream zur Verfügung. Tagesgäste können dieses Jahr nicht empfangen werden.

Zum Thema:
Walter Dürr: «Es geht um Christus, nicht um unsere Konzepte»
Freiburger Studientage: Walter Dürr: «Das Konferenzthema ist prophetisch!»
Theologe Walter Dürr: An den Studientagen über «das gute Leben» nachdenken

Datum: 27.05.2021
Quelle: IDEA Schweiz

Werbung
Livenet Service
Werbung