Konfliktbewältigung

Bibelarbeits-Serie: Konsequenz oder zweite Chance?

Konflikt
Wie reagiert man, wenn sich jemand als unzuverlässig erweist? Vor dieser Frage standen Paulus und Barnabas - und kamen zu gegensätzlichen Schlussfolgerungen. Christoph Stenschke fragt, was wir aus diesem Konflikt lernen können.

Die Apostelgeschichte berichtet von einer Reihe von Konflikten unter den ersten Christen. Schon früh kam es zu Unmut in Jerusalem, als eine bestimmte Gruppe von Witwen bei der gemeindlichen Versorgung übersehen wurde. Später ging es um die Frage, ob Heiden erst Juden werden müssten, um an Gottes Heil für Israel teilzuhaben. Die Auseinandersetzungen führten zum sogenannten Apostelkonzil in Jerusalem, bei dem geklärt wurde, dass ein Übertritt zum Judentum nicht nötig ist.

Daneben wird auch von einem persönlichen Konflikt berichtet (in Apostelgeschichte Kapitel 15, Verse 36-40). Auf der ersten Missionsreise wurden Barnabas und Paulus zunächst von Johannes Markus begleitet. Sie hatten ihn vorher von Jerusalem mit nach Antiochia gebracht (Apostelgeschichte Kapitel 12, Vers 25). Johannes gehörte zu einer wichtigen Familie in der Jerusalemer Gemeinde (Vers 12: Sie trifft sich im Haus Marias, der Mutter des Johannes) und war zudem ein Verwandter des Barnabas (Kolosser Kapitel 4, Vers 10).

Warum die beiden Johannes auf die Reise mitnahmen, ist unklar. Im Zusammenhang der Sendung durch den Heiligen Geist am Anfang von Apostelgeschichte Kapitel 13 wird er nicht explizit erwähnt. Vers fünf berichtet, dass sie Johannes als Gehilfen mitnahmen. Wahrscheinlich sollte er ihnen bei den Strapazen der Reise behilflich sein. Wollten sie ihn auch fördern? War Barnabas zudem für Johannes (wohl Halbwaise, der Vater wird nicht erwähnt) verantwortlich und wollte oder konnte ihn nicht einfach in Antiochia zurücklassen?

Johannes reicht es

Nach dem Wirken auf der Insel Zypern kamen die drei nach Pamphylien auf das kleinasiatische Festland. In der Stadt Perge reichte es Johannes und er kehrte auf eigene Faust nach Jerusalem zurück, ohne dass dafür Gründe angegeben werden. War er schlichtweg überfordert? Kam es zu persönlichen Konflikten? War er bereit, auf Zypern mit dabei zu sein (der Heimat des Barnabas, Apostelgeschichte Kapitel 4, Vers 36), aber nicht in Kleinasien? War er nicht damit einverstanden, dass das Evangelium nicht nur in jüdischen Synagogen verkündigt wurde, sondern auch unter Heiden (13,7-12, auch wenn dies bereits in Antiochia Praxis war) und die Heiden als Heiden (also ohne zunächst zum Judentum überzutreten) an Gottes Heil für sein Volk Israel teilhaben konnten?

Es fällt auf, dass Johannes von Antiochia aufgebrochen war, aber nach Jerusalem zurückkehrte. Liegt das nur daran, dass dort das Haus seiner Mutter war, (12,12) oder hatte Johannes andere Gründe? Wir wissen nicht, was Johannes bei seiner Ankunft in Jerusalem über die beiden Missionare und deren Wirken berichtet hat. Gingen die späteren Auseinandersetzungen in Antiochia und in Jerusalem, die zum Konzil geführt haben, auch auf Johannes zurück? Ein möglicher Hinweis könnte noch sein, dass Paulus nach der Begegnung mit dem römischen Statthalter in Zypern an erster Stelle genannt wird: «Paulus aber und die um ihn waren» (13,13, also Barnabas und Johannes; anders noch in 13,7: «Barnabas und Saulus»). Unmittelbar danach wird die Abreise des Johannes erwähnt. War er bereit, unter der Leitung seines Verwandten, den er kannte und dem er vertraute, mitzumachen, nicht aber unter Paulus, der als ehemaliger Verfolger der Gemeinde in Jerusalem eine schwierige Vorgeschichte hatte?

Gute Gründe – auf beiden Seiten

Nachdem das Konzil beendet und die Fragen geklärt waren, die die Mission unter Heiden aufgeworfen hatten, kehrten Paulus und Barnabas nach Antiochia zurück. Eine Weile später wollte Paulus mit Barnabas aufbrechen, um die während der ersten Missionsreise gegründeten Gemeinden zu besuchen: «Lass uns wieder aufbrechen und nach unseren Brüdern sehen in allen Städten, in denen wir das Wort des Herrn verkündigt haben, wie es um sie steht» (15,36).

Barnabas war durchaus bereit mitzukommen. Er wollte Johannes eine zweite Chance geben und ihn wieder mit auf die Reise nehmen. Wieder werden keine Gründe dafür angegeben. War er einfach geduldiger, verständnisvoller? Traute er seinem wohl jüngeren Verwandten mehr zu? Sah er etwas in ihm, was Paulus nicht sehen konnte oder ihm nicht wichtig war? Paulus war dagegen, denn «er hielt es nicht für richtig, jemanden mitzunehmen, der sie in Pamphylien verlassen hatte und nicht mit ihnen ans Werk gegangen war» (Vers 38). Vielleicht einfach konsequent angesichts des früheren Verhaltens von Johannes (er wurde nicht zurückgeschickt, sondern kehrte zurück), vielleicht die Erinnerung an kräftezehrende Auseinandersetzungen mit Johannes oder seinetwegen auch mit Barnabas… Nein, definitiv keine Neuauflage! Beide Männer werden ihre jeweils guten Gründe gehabt haben. Zusammenarbeit unmöglich?

Und dann heisst es, dass die beiden Männer, die sich gut kannten und wohl über mehrere Jahre eng und gut zusammengearbeitet hatten, «scharf aneinander kommen, so dass sie sich trennten» (Vers 39). Bei allen sonstigen Übereinstimmungen gibt es hier unterschiedliche Positionen, von denen beide Männer nicht abweichen wollen – und gehen dann getrennte Wege. Eine weitere Zusammenarbeit ist unmöglich.

Aus einem Missionsteam wurden zwei: Barnabas kehrte mit Johannes nach Zypern zurück, an Orte, an denen sich Johannes vorher bewährt hatte; Paulus zog mit Silas, einem anderen führenden Jerusalemer los, auf die zweite Missionsreise. So wurden alle Gemeinden besucht. Die Jerusalemer befahlen wohl beide Missionsteams «der Gnade Gottes an». Von der zweiten Zypernmission erfahren wir im Neuen Testament nichts; die Reise von Paulus und Silas wird in der Apostelgeschichte detailliert berichtet.

Wenn der in den Paulusbriefen erwähnte Markus mit dem Johannes Markus der Apostelgeschichte gleichzusetzen ist, erscheint er später unter den Mitarbeitern des Paulus (Kolosser Kapitel 4, Vers 10; Philemon Vers 24). In seinem wohl letzten Brief bittet Paulus Timotheus, Markus mit zu sich zu bringen (2. Timotheus Kapitel 4, Vers 11). Vielleicht zeigt das, dass Barnabas mit seinem Festhalten an Johannes Recht hatte und Paulus an der falschen Stelle konsequent war. Bei Gleichsetzung erscheint Johannes nach 1. Petrus Kapitel 5, Vers 13 auch im Umfeld des Petrus.

Ein gutes Beispiel

Dieser Bericht passt nicht ganz zu unserem Bild der idealen und idealisierten ersten Christen. Und doch bin ich dankbar, dass wir ihn haben. Er zeigt, dass auch geistliche Menschen, die sich gut kennen und schon lange zusammenarbeiten, aneinandergeraten können, weil sie Situationen und Menschen anders einschätzen… und sich nicht einig werden. Er zeigt, dass man nicht um jeden Preis Kompromisse machen und sich aufreiben muss. Er zeigt, dass keine weitere Zusammenarbeit manchmal auch eine Lösung sein und sogar positive Folgen haben kann. Er zeigt, dass es neben den ursprünglichen Absichten Alternativen geben darf.

Zugleich (Sie ahnen es bereits!) darf man es sich nicht zu leicht machen. Andere Einschätzungen und Auseinandersetzung: ja; andere Pläne: ja. Dagegen Groll, Bitterkeit und Unversöhnlichkeit: nein. Paulus und Barnabas waren im Frieden auseinandergegangen. In Konflikten habe ich neben meinen Einschätzungen auch meine Motive zu hinterfragen und im Blick zu behalten, ob und wie die Konflikte auch mit mir, meinen Beziehungen und meiner Persönlichkeit zu tun haben.

Zum Thema:
Glaube entdecken: Gott persönlich kennenlernen
Die Macht der Sanftmut: Wie wir auf Enttäuschungen reagieren könnten
Von Jesus lernen: Generation Unverbindlich

Datum: 20.10.2024
Autor: Christof Stenschke
Quelle: Magazin LebensLauf 06/2024, SCM Bundes-Verlag

Werbung
Livenet Service
Werbung