Das Beten verlernt?

Wenn Philosophen von Gott reden

Gerade wurde von der Bild-Zeitung darum gebeten: «Bitte erklären Sie uns die Zeit, in der wir leben!» Das hat er getan. Und dabei eine Menge über Gott und die Welt gesagt. Unter anderem, dass viele Menschen das Beten verlernt hätten und nun auf der Suche nach Alternativen wären.
Peter Sloterdijk (Bild: petersloterdjik.net)

Menschen wie Sloterdijk werden gern zitiert. Weil sie etwas zu sagen haben – und das auch tun. Aber ist es eigentlich legitim, die prägnante Einzelaussage eines Denkers quasi zu «adoptieren», weil sie zur eigenen Einstellung passt, und andere dafür lieber wegzulassen? Statt direkt ja oder nein zu sagen, möchte ich Ihnen kurz zwei Personen vorstellen.

Kennen Sie Peter Sloterdijk?

Peter Sloterdijk ist ein herausragender Denker. Der 73-Jährige hat Philosophie, Germanistik und Geschichte studiert. Er hat als freier Schriftsteller gearbeitet und im Aschram von Bhagwan gelebt. Er hat unzählige Bücher und Artikel geschrieben und Vorlesungen über Philosophie und Ästhetik gehalten. Wenn es Ihnen so geht wie mir, dann haben Sie den Namen schon öfter gehört, könnten jetzt aber nicht aus dem Stegreif einen seiner Buchtitel nennen. (Sein Klassiker ist «Kritik der zynischen Vernunft» mit knapp 1'000 Seiten – nachgeschaut, nicht gewusst).

Wie andere Philosophen ist Sloterdijk ein Mensch, der Worte auf die Goldwaage legt und sich mit seinen Gedanken in gesellschaftliche Auseinandersetzungen einmischt. Aber anders als viele seiner Kollegen wird er dazu regelmässig in Talkshows eingeladen oder zum Beispiel von der Bild-Zeitung interviewt. Und er polarisiert mit seinen Gedanken – so sehr, dass der Wikipedia-Artikel über ihn fast zur Hälfte aus Informationen zu diesen Streitfragen besteht: Genderfrage, Wirtschaftspolitik, Europa, Flüchtlingskrise und eben auch Religion.

Ein Philosoph, das Beten und Aussagen über Gott

Das Thema des Bild-Interviews mit Sloterdijk war eine kurze Erklärung der Phänomene unserer Zeit – von den Politikern Markus Söder und Donald Trump bis hin zur Frage der Berühmtheit. Und als es um den digitalen Exhibitionismus bei Instagram ging, kam der Meister auf die Religion zu sprechen: «Seit die Menschen das Beten verlernt haben, suchen sie nach Alternativen. Das Beten, man sollte das nicht vergessen, war eine Methode, sich beim Jenseits vorzustellen. Dem durfte man sich als Mensch mit einem inneren Anliegen empfehlen. Die modernen Kommunikationsmittel haben eine Technik geschaffen, wie man Gebete in Bitten um Aufmerksamkeit umwandelt. Man spricht der Öffentlichkeit und dem Freundeskreis eine Rolle zu, die man früher dem Himmel und den Heiligen abverlangt hat. Instagram verkörpert das Flehen um Bedeutsamkeit mit zeitgenössischen Mitteln. Robert Gernhardt hat das neue Beten wohl am besten erfasst: 'Lieber Gott, nimm es hin, / dass ich was Besondres bin …'»

Es lohnt sich, einmal darüber nachzudenken. Doch wahrscheinlich könnten Atheisten aus anderen Teilen anderer Interviews genauso Zitate hervorziehen, die ihre Weltsicht unterstützen. Sloterdijk selbst bezeichnet sich nicht direkt als Christ, wohl aber als «unbedingt gläubiger Mensch» (Deutschlandfunk).

Kennen Sie Agur?

Kommen wir zur zweiten Person: Agur. Ein Nachname ist nicht bekannt, er war der Sohn von Jakes. Sie finden ihn – richtig geraten! – in der Bibel. Genauer: Er wird als Urheber einiger der Sprüche Salomos genannt. Denn von Gott und der Welt gesprochen haben die Menschen schon sehr lange. Und weise Gedanken geäussert haben sie auch. Nach konservativer Auffassung soll Salomo das Buch der Sprüche also nicht allein geschrieben haben, obwohl ihm selbst allein 3'000 Sprüche zugeschrieben werden. Stattdessen hat er es aus eigenen Gedanken und denen von Agur, Lemuel, den «Weisen» und anderen zusammengestellt.

Gute Gedanken gehören allen

Ist es nun legitim, kluge Gedanken von Menschen wie Peter Sloterdijk zu zitieren, wenn man gar nicht so recht weiss, was er sonst noch so denkt und glaubt? Ja, warum denn nicht? Es ist definitiv nicht in Ordnung, Gedanken aus dem Zusammenhang zu reissen und etwas damit auszusagen, was ihre Sprecherin oder ihr Schreiber nie sagen wollte. Aber gute Gedanken gehören allen. Weisheit ist nicht auf eine bestimmte Religion beschränkt. Und ich kann vieles von christlichen genauso wie von atheistischen Philosophen lernen. Genauso wie von Weisen mit anderem Glauben. Spannenderweise scheint sich diese Praxis sogar bis in die Bibel hinein zu erstrecken, denn die «Worte der Weisen» haben eine grosse Ähnlichkeit mit der «Lehre des Amenemope»  aus Altägypten, die bereits lange vor Salomo in Umlauf war. Hat dann Salomo «unbiblische» Gedanken in die Bibel eingebracht? Im Gegenteil. Er hat weise Gedanken auch ausserhalb seines Glaubens gefunden und festgestellt, dass sie gut zu Gott passen.
 

Datum: 23.10.2020
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

Werbung
Livenet Service
Werbung