Pilgerbegleitung in der Schweiz

Dem Hirten gelauscht, vom Ort berauscht

Wer denkt, es werde nur im Sommer oder während der warmen Monate gepilgert, der hat sich getäuscht. Aktuell ist ein Pilgerbegleiter mit einer Gruppe auf Schneeschuhen unterwegs. Mit Markus Da Rugna begeben wir uns auf den Weg vieler Erfahrungen.
Eine Pilgerin (Bild: zVg)
Markus Da Rugna
Pilger bei einer Steinkapelle

Pilgern. Geschätzt gibt es weltweit jährlich 200 Millionen Pilger. Allein in Santiago de Compostela wurde 2019 ein Peak mit 347'578 Angekommenen erreicht. Im Pandemiejahr 2020 stürzte die Zahl auf 53'794 ab, worauf sie 2021 wiederum auf 176'870 anstieg.

Gedanken-Ankurbler und Erlebnis-Verdauer

Die Urkunde am Ende des Jakobswegs erhalten alle, welche die letzten 100 Kilometer zu Fuss oder zu Pferd (200km für Radfahrer) unterwegs waren. Der Pilgerfluss schwillt stetig an. Es wurden rund dreimal mehr Urkunden ausgestellt als noch vor zehn Jahren. Durch die Schweiz führt zum Beispiel der Hugenotten-, der Gallus- oder natürlich der allseits bekannte Jakobsweg. Zur Sinnsuche, Inspiration und zum Verdauen schwieriger Ereignisse, wird das Pilgern auch zukünftig seine bewährte Rolle weiterspielen und nicht so schnell versickern.

Die Pilgerbegleitung hilft bei den praktischen und geistlichen Vorbereitungen und ebenso konkret auf dem Weg. Was macht man bei Gewitter? Wie wird eine gemeinsame Gebetszeit gestaltet? Und vieles mehr.

Livenet war im Austausch mit dem Pfarrer EMK und Pilgerbegleiter Markus Da Rugna.

Wie muss man sich die Aufgabe des Pilgerbegleiters vorstellen?
Markus Da Rugna:
Pilgergruppen werden unterwegs von einem erfahrenen Pilger begleitet. Pilgern beinhaltet im Unterschied zum Wandern nicht nur einen physischen, sondern auch einen inneren, geistlichen Weg. Der Pilgerbegleiter kann zu Beginn und am Ende des Tages genauso wie unterwegs entsprechende Impulse weitergeben. Er lädt ein zum Gespräch oder Schweigen, er kennt die Strecke und kann praktische Fragen beantworten oder auf sehenswerte Orte hinweisen, und so weiter.

Wie kamen Sie selber zum Pilgern, und was macht für Sie der Reiz aus?
Ich habe mit gut vierzig gemerkt, dass mir das zu Fuss Unterwegssein sehr gut tut, und dass ich das öfter und länger tun will. Zum Pilger bin ich geworden, als ich an einer Pilgerreise nach Assisi teilnahm. Pilgern und Franziskus, das passt für mich bis heute wunderbar zusammen. Wenn ich länger zu Fuss unterwegs bin, kommt auch innerlich etwas in Bewegung, das ist für mich der Reiz des Pilgerns. In der Auseinandersetzung mit der Umwelt, Gott und mir selbst kann Lebensveränderndes passieren. Es geschieht so auch viel Verarbeitung, ganz nach der Pilgerweisheit: «Wenn nichts mehr geht, dann geh!»

Mit welchen Fragen und Themen sind die Pilger unterwegs?
Pilger sind tatsächlich Suchende. Es sind Menschen, die eine Sehnsucht oder bestimmte Erfahrungen aus dem Haus treibt; in die oben beschriebene Bewegung – äusserlich und innerlich. Meist sind Lebensfragen damit verbunden, wie «Was tue ich in meinem neuen Lebensabschnitt, was möchtest du, Gott, von mir?», «Wie kann ich sinnvoller leben nach einem Burn-out?», «Ich brauche nach einer Scheidung Zeit für die Verarbeitung», et cetera. Wir bieten jedoch auch Kurse an (Kurs Nr. 27).

Welche Erfahrung war überraschend?
Das geschieht immer wieder, denn im Gehen werde ich durchlässiger in der Wahrnehmung, auch in der Beziehung zu Gott. Beim Pilgern hörte ich im Gehen einmal über längere Zeit, wie jemand sehr liebevoll sprach. Erst nach einiger Zeit sah ich dann, dass es ein Hirte war, der so mit seinen Schafen sprach. Mir war in jenem Moment klar, dass Gott mich genauso anspricht.

Was war für Sie das eindrücklichste Erlebnis?
Die Ankunft damals in Assisi. Ich war geradezu in einem Hochgefühl und zog die besondere Atmosphäre der Stadt in mich auf. Es waren zwar nur knapp 200 km, die ich geschafft hatte, aber endlich zum ersten Mal in dieser Stadt zu sein, die bis heute stark von Franziskus geprägt ist, war für mich überwältigend.

Bitte erzählen Sie uns zwei besondere Begebenheiten mit pilgernden Menschen.
Die franziskanische Gastfreundschaft ist eine wunderbare Erfahrung. Als Gruppe übernachten wir auch in franziskanischen Klöstern und werden am Abend von den Brüdern verköstigt. Die Frage nach einer entsprechenden Entschädigung muss man als Pilgerbegleiter schon selbst stellen. Da gibt es keine fixen Preise, sondern ich bekomme dann jeweils die Auskunft: Dort gibt's ein Kässeli, da kannst du etwas einlegen. Am Anfang war ich damit als Schweizer überfordert.

Eindrücklich sind die Erzählungen der Pilger am Ende in Assisi. So erzählte ein Pilger, er hätte auf dieser Pilgerreise zum ersten Mal frische Feigen gegessen und diese sehr schätzen gelernt. Zuvor kannte er nur getrocknete Feigen und die mochte er nicht. Seine Erzählung wurde mir zum Bild dafür, was beim Pilgern passieren kann. Meine Seele frischt auf, wird «geniessbar», ich komme näher zu mir selbst (meinem «Original») und zu andern.

Zur Person

Alter: 53
Familie:
verheiratet, 3 Jugendliche im Alter von 16-20
Wohnort: Aarau
Beruf:
Pfarrer der EMK
Hobbies:
Fussball, Langlauf, Jogging, Garten (immer mehr), Kunst, Kultur, Geniessen

Zur Webseite:
Franziskusweg

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Datum: 27.01.2022
Autor: Roland Streit
Quelle: Livenet

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