Mehr als Kindergottesdienst

David und Goliat

David und Goliat
Es gibt Geschichten, die in keiner Kinderbibel fehlen. Anschaulich und bildgewaltig sprechen sie von Gottes Handeln. Eigentlich sind es keine Kindergeschichten, gleichzeitig gibt es gute Gründe, dass sie schon so lange erzählt werden.

Wie jeden Morgen sitzt der kleine David am Tisch in der Küche und frühstückt. Als er die neue Packung seiner Lieblingscornflakes öffnet, fällt ihm eine Spielzeugschleuder aus Plastik entgegen. «Die sieht lustig aus», denkt er sich. «Mal sehen, ob ich sie irgendwann mal gebrauchen kann.» Er steckt sie in die Hosentasche. Als er sein Pausenbrot aus dem Kühlschrank holt, meint sein Vater noch: «Wenn du zu den Schafen gehst, dann kommst du beinahe bei deinen Brüdern vorbei. Bring ihnen doch etwas zu essen. Sie müssen gerade viel kämpfen und haben sicher Hunger.» «Gern, Papa!» Noch bevor David bei den Soldaten angekommen ist, hört er sie bereits. Irgendjemand schreit herum und dazwischen ist so ein Klappern zu vernehmen.

Als er näherkommt, sieht er, was dies bedeutet. Ein riesengrosser Krieger der Philister ruft: «Feiglinge! Ihr habt doch nichts drauf und euer Gott auch nicht! Wer von euch traut sich, gegen mich zu kämpfen – Mann gegen Mann?» Jetzt hört David auch das Klappern deutlicher. Es sind die Zähne der Israeliten, die einfach Angst haben. Da wird David sauer. Er ärgert sich, dass dieser Riese sein Volk beleidigt, noch mehr aber, dass er Gott beleidigt. Ohne gross darüber nachzudenken, antwortet er Goliat: «Vorsicht! Sag nichts gegen Gott!» Während Goliat und die Philister sich noch ausschütten vor Lachen, denkt David plötzlich an die Schleuder, die er am Morgen gefunden hat. Er holt sie aus der Tasche, hebt einen Stein auf und zielt auf den Riesen. Treffer! David weiss selbst nicht, wie er es geschafft hat, aber Goliat ist tot. Und er merkt: «Ich bin zwar klein, aber Gott wird mir helfen, grosse Dinge zu tun.»

Okay, das ist etwas übertrieben erzählt, aber so ähnlich steht die Geschichte in praktisch jeder Kinderbibel. Erwachsene beschäftigen sich eher selten mit dem Stoff. Zu stark erinnert er an Märchen wie das «Tapfere Schneiderlein» oder an blutrünstige Kriege. Dabei lohnt es sich, das biblische Original in 1. Samuel, Kapitel 17 einmal durchzulesen – es dauert maximal zehn Minuten. Dabei wird deutlich, warum «David und Goliat» bis heute erzählt wird.

Wer erzählt hier wem was und warum?

Die Frage klingt nach Deutschunterricht, aber sie ist extrem hilfreich, wenn Sie sich auf die Suche machen möchten nach dem, was wirklich dasteht. Wer sie erzählt, lässt sich nicht klären. Der Prophet Samuel ist sicher beteiligt, kann aber nicht der abschliessende Autor sein. Das Wem ist deutlich: Den Israeliten wird gezeigt, wie sie nach der Inbesitznahme des Landes und der chaotischen Richterzeit zu einer Nation mit eigenem Königshaus geworden sind. Was? 1. Samuel zeigt den Aufstieg und die Machtübernahme dreier Herrscher in Israel: Samuel, Saul und David. Hier geht es um David und warum er der legitime und geeignete Nachfolger Sauls ist. Ausserdem soll das Volk ermutigt werden, trotz Widerständen an Gott festzuhalten – diese Wirkung entfaltet die Geschichte bis heute.

Ein Blick hinter die Kulissen

Zwei typische Fragen, die sich für viele anschliessen, lauten: Ist die Geschichte wahr? Ist sie tatsächlich genau so passiert? Denn einige Beschreibungen aus dem Text laden zu diesen Fragen ein.

  • Wann handelt die Geschichte? Sie spielt ungefähr um 1100 vor Christus am Ende der Bronzezeit. Da ist es natürlich, dass neben der Bibel praktisch keine Überlieferungen bestehen, die das Ganze bestätigen oder widerlegen.
     
  • Gibt es Riesen? Zunächst einmal steht das Wort selbst nicht im Text, da ist von einem «Vorkämpfer» die Rede – jemandem, der zwischen den Fronten steht. Interessanterweise schwanken die Grössenangaben für Goliat im Text je nach Handschrift oder früher Übersetzung zwischen 4 und 16 Ellen, also zwischen 2 und 7 Metern. (Kleine Seiteninformation: Der nachweislich grösste Mensch in neuerer Zeit war der US-Amerikaner Robert Wadlow, der von 1918-40 lebte und 2,72 m gross war. Ein Tumor in seiner Hypophyse war für seine Grösse verantwortlich.)
  • Wie alt war David? Das wissen wir nicht genau. Er war noch nicht wehrfähig, sonst hätte man ihn auch eingezogen, aber auch kein Kind mehr – er kümmerte sich immerhin allein um die Schafherde, die nicht in direkter Nachbarschaft seines Zuhauses war und hatte sie erfolgreich gegen Bären und Löwen verteidigt. Wahrscheinlich war er zwischen 15 und 17 Jahren alt.
     
  • War David tatsächlich unerfahren? In klassischer Kriegsführung sicher, aber seine Steinschleuder war kein Spielzeug. In Richter, Kapitel 20, Vers 16 wird eine damalige israelische Spezialeinheit beschrieben: «Ausserdem befanden sich unter den Kriegsleuten 700 ausgewählte Soldaten, allesamt Linkshänder. Die konnten Steine haargenau schleudern, ihr Ziel verfehlten sie nicht.»
     
  • War es überhaupt David, der Goliat tötete? In 2. Samuel, Kapitel 21, Vers 19  heisst es im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Philister, dass Elhanan Goliat getötet haben soll.
     
  • Ist die Geschichte durcheinander? Erst salbte Samuel David zum König, doch Saul blieb weiter an der Macht. Später kam David zum Musizieren an den Königshof, doch zwischendrin war er auch immer wieder daheim und hier erkannte Saul ihn offensichtlich nicht.

Es liessen sich noch viele weitere Fragen ergänzen, doch bleibt festzuhalten: Der Bericht sollte schon damals nicht alle Details klären, sondern Davids legitimen Anspruch auf den Thron untermauern und Gottes Anteil daran unterstreichen. Dabei haben die Erzähler ihre Geschichte nicht streng chronologisch aufgezählt, sondern inhaltlich komponiert (eine Technik, die wir alle anwenden, schon, wenn wir mehrmals nach den Erlebnissen in unserem Urlaub gefragt werden). Meiner Meinung nach ist die Geschichte wahr und nicht einfach ein Mythos, der David zugeschrieben wird, allerdings enthält sie wohl einige Übertreibungen – wie das Festhalten von Löwen und Bären an ihrem «Bart» .

Was ist mit der beschriebenen Gewalt?

Die Geschichte von David und Goliat ist nicht für Kinder verfasst, sie beschreibt eine Kriegssituation – und die ist gewalttätig. Offensichtlich akzeptiert Gott ein Stück weit den damaligen Ist-Zustand der Menschheit und knüpft daran an, ohne eine christlich geprägte Friedensethik vorauszusetzen. Dabei hat die letzte Zeit viele demütiger gemacht in der Bewertung dieser Auseinandersetzung: Der Ukrainekrieg und die Reaktionen aus Politik und Kirche dazu zeigen, dass wir ehrlicherweise nicht immer friedliche Lösungen für militärische Konflikte haben. Dazu kommt, dass manche Kritik sich nur daran zu stören scheint, dass solche Gewalt in der Bibel vorkommt: Im «Herrn der Ringe» oder in der neuen Staffel vom «Witcher» ist sie normal.

Ein hilfreiches Vorbild

Als die ersten Erzähler die Geschichte von David und Goliat aufschrieben, stellten sie David als König dar, den Gott als Herrscher berufen hat, und sie wollten die Menschen in Israel ermutigen, Gott zu vertrauen. Für heute enthält die bekannte Erzählung ähnliche Botschaften:

  • Der Grössere siegt nicht automatisch – bis heute spricht man in solchen ungleichen Situationen von einem «Kampf David gegen Goliat».
  • Es lohnt sich, auch gegen den Augenschein auf Gott zu vertrauen.
  • Gottes Hilfe erfahren wir in der Auseinandersetzung mit «Riesen» in unserem Leben wie Abitur-Prüfungen, Krankheit, Menschen, die uns Böses wollen, Sucht, schwierige Lebensumstände wie Armut oder ein fehlender Schulabschluss und vielen anderen.
  • Gott gebraucht uns und unsere Gaben und Möglichkeiten – auch wenn andere sie geringschätzen.

All das bekommt mit David ein Gesicht und zwar als Kindergeschichte und als Erzählung für Erwachsene! Kein Wunder, dass die Geschichte von David und Goliat bis heute «funktioniert», nur deshalb erzählen wir sie noch nach 3'000 Jahren und sollten das auch weiterhin tun.

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Datum: 09.07.2023
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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