Lebenskompetenz

Vom Glück, lesen und schreiben zu können

Lesen lernen mithilfe der Bibel
Lesen und schreiben zu können ist ein wichtiger Schlüssel zum Leben, aber auch zum Glauben. Viele Bibelgesellschaften bieten Alphabetisierungskurse mit der Bibel an. Doch die Alphabetisierung vermittelt nicht nur Bibel-, sondern auch Lebenskompetenz.

Viele Bibelgesellschaften bieten Alphabetisierungskurse mit der Bibel an. Denn es ergibt wenig Sinn, Bibeln zu drucken und zu verbreiten, wenn die Empfänger sie nicht lesen können. Darüber hinaus ist es für Christen ein motivierendes Ziel, endlich selbst in der Bibel lesen zu können. Das Lernen wird erleichtert, wenn einzelne biblische Geschichten bereits vertraut sind. Und wo sie noch neu sind, kann der Alphabetisierungskurs etwas zur Glaubensbildung beitragen.

Zu Gast in Kambodscha

Die Weltbibelhilfe der Deutschen Bibelgesellschaft unterstützt einige solcher Projekte. Im letzten Jahr konnte ich die Arbeit in Kambodscha während einer Reise persönlich kennenlernen. Entlang des Tonle-Sap-Flusses, nördlich der Hauptstadt Phnom Penh, gibt es mehrere kleine Gemeinden, die in Zusammenarbeit mit der Bibelgesellschaft in Kambodscha auch Alphabetisierungskurse anbieten. Als wir nach mühsamer Anfahrt endlich da sind, erwarten uns schon viele Kinder des Dorfes unter einer grossen Wellblech-Dachkonstruktion. Wir fragen, wer hier ist, um bei dem Lese- und Schreiblernkurs mitzumachen. Alle melden sich begeistert. Als ich wissen will, wer denn schon lesen kann, gehen zögerlich zwei bis drei Hände nach oben.

Dieses Erlebnis ist nicht ungewöhnlich und wiederholt sich während meiner Reise viele Male. Während der Schreckensherrschaft der Roten Khmer (1975–1979) war Bildung in Kambodscha komplett verboten und Intellektuelle wurden umgebracht. Heute gibt es zwar in der Theorie eine Schulpflicht, doch gerade auf dem Land besuchen viele Kinder die Schule nur unregelmässig, weil sie auf dem Feld mithelfen oder auf ihre Geschwister aufpassen müssen. Selbst wenn sie dorthin gehen, ist der Unterricht oft nicht gut; häufig erscheint der Lehrer nur kurz oder gar nicht, weil er selbst nach seinen Feldern sehen muss, um über die Runden zu kommen. Die Klassen sind ausserdem sehr gross, individuelle Unterstützung ist quasi unmöglich. Und viele Eltern können ihren Kindern nicht helfen, da sie selbst nicht lesen können.

Die meisten der Kinder in dem Dorf, das ich besucht habe, kommen aus christlichen Familien. In Kambodscha sind nach offiziellen Angaben nur ca. 0,3 Prozent der Bevölkerung Christen, doch vermutlich liegt diese Zahl mittlerweile viel höher. Tatsächlich wächst das Christentum rasant, auch weil sich viele Kirchen für die Belange der Menschen einsetzen – zum Beispiel mit Bildungsangeboten wie diesem, Englisch- oder Computerkursen.

Es ist ein besonderer Moment, als jedes Kind ein Paket mit dem Kursmaterial bekommt. Darin enthalten sind das Lehrbuch, ein Schreibheft und ein Bleistift sowie zwei Büchlein mit illustrierten biblischen Geschichten. Sorgsam stecken die Kinder dieses wertvolle Geschenk in ihre Rucksäcke. Dann müssen viele los: Die Schule beginnt hier erst mittags. Sie ist zwei Kilometer entfernt, ein paar nehmen ihre Fahrräder, der Rest läuft.

Lesekompetenz mindert Gewalt

Seit 2003 bietet die Bibelgesellschaft in Kambodscha Alphabetisierungskurse an. Sie schult Kursleiter, die das Programm in ihren Gemeinden umsetzen. Ausserdem stellt sie die Lehrbücher zur Verfügung und gibt die Abschlusszertifikate aus. Jedes Jahr werden circa 300 Kurse mit 3000 Absolventen durchgeführt – Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Zwar gibt es auch staatlich finanzierte Alphabetisierungskurse, doch man erzählte mir, dass diese weniger gut organisiert und weniger effektiv seien. Daher nehmen regelmässig auch Nichtchristen das Angebot der Gemeinden an, wo sie herzlich willkommen sind.

Der Generalsekretär Pisit Heng berichtet von den Auswirkungen: «In den Dörfern, in denen die Kurse durchgeführt werden, gibt es in der Regel weniger häusliche Gewalt und Kriminalität. Die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern verbessern sich. Nach Kursabschluss sind Menschen in der Lage, Arbeitsstellen zu finden oder ein eigenes kleines Unternehmen zu gründen. Kinder beginnen, von einer Zukunft zu träumen. Häufig wenden sich die örtlichen Behörden an uns, weil sie auch unbedingt einen Kurs in ihrem Dorf haben wollen, nachdem sie die Ergebnisse in den Nachbarkommunen gesehen haben.»

Die Würde jedes Einzelnen

Weltweit gibt es ca. 781 Millionen erwachsene Analphabeten – schätzungsweise zwei Drittel davon sind Frauen. Viele kommen aus sehr armen, bevölkerungsreichen Ländern. Nicht lesen zu können bringt viele Nachteile mit sich: So können die Betroffenen beispielsweise in einer digitalen Welt nur eingeschränkt kommunizieren. Der Besuch eines Supermarktes oder die korrekte Einnahme von Medikamenten ist herausfordernd. Und für das eigene Recht einzustehen, ist so gut wie unmöglich. Der Selbstwert wird entsprechend herabgesetzt und die Teilhabe am Leben erschwert.

Auch weil Gott in jedem Menschen Würde und Wert sieht, bieten Bibelgesellschaften Alphabetisierungskurse an. Mich begeistert es, wie vielfältig ihre Auswirkungen sind. Denn sie verleihen nicht nur mehr Selbstwirksamkeit und Handlungsspielraum, sondern stärken auch den Glauben. Darüber hinaus tragen sie zum Wohl ganzer Familien und Dorfgemeinschaften bei. Umgekehrt ist die Arbeit der Bibelgesellschaften im Bereich der Alphabetisierung auch für die Kirchen sehr wichtig. Denn wer ein Alphabetisierungsprogramm abgeschlossen hat, wird oft nicht nur zu einem freudigen Bibelleser, sondern auch zu einem Kindergottesdienstmitarbeiter oder einer Jugendleiterin. Manche beginnen sogar, selbst Lesen und Schreiben zu unterrichten.

Von der UNESCO anerkannt

Als Anerkennung der besonderen Leistungen der Bibelgesellschaften bei der weltweiten Alphabetisierung hat die UNESCO den Weltverband der Bibelgesellschaften im Jahre 2010 zu einem ihrer Partner mit beratender Funktion ernannt. Derzeit gibt es bei Bibelgesellschaften 48 aktive Alphabetisierungsprojekte. Die meisten davon richten sich an Erwachsene, einige wenige speziell an Kinder. Manche haben beide Zielgruppen im Blick, so wie in Kambodscha. Zusätzlich wird an Projekten zur Alphabetisierung von hör- und sehbehinderten Menschen gearbeitet.

Die überschaubaren Lerngruppen treffen sich meist drei- bis fünfmal pro Woche über einen Zeitraum von sechs bis zehn Monaten, je nach Lehrplan. Die Materialien werden auch zusammen mit Partnerorganisationen entwickelt, zum Beispiel dem «Summer Institute for Linguistics» (SIL), einer Organisation, die die Alphabetisierung auf christlicher Grundlage fördern möchte. Verschiedene Medien wie gedruckte Texte, Audios, Videos und Digitales werden kombiniert, wenn es um die Vermittlung von Inhalten geht.

Wenn der Zugang zu Bildung verwehrt wird

Die Gründe dafür, dass Menschen nicht lesen und schreiben können, sind vielfältig. Dazu gehören Armut und ein schlechtes Bildungsangebot, so wie es im ländlichen Kambodscha der Fall ist. Manche Alphabetisierungsprogramme der Bibelgesellschaften richten sich auch speziell an Menschen, in deren Muttersprache – zumeist eine Minderheitensprache – es keinen Schulunterricht gibt. Sie können also vielleicht in einer Zweitsprache (wie zum Beispiel Englisch) mehr oder weniger gut lesen, doch in ihrer eigentlichen Herzenssprache – in der sie auch die Bibel lesen möchten – ist es ihnen aufgrund des ganz anderen Laut- oder Schriftsystems nicht möglich. Auch dies haben Bibelgesellschaften im Blick, gerade wenn die Erstübersetzung einer Bibel in einer bestimmten Sprache entsteht, wie zum Beispiel im Südsudan.

So erzählt Minalla, eine junge Frau, die eine Minderheitensprache spricht: «Ich habe angefangen, in meiner Sprache Morokodo lesen und schreiben zu lernen. Ich möchte die Bibel lesen und mit meinem Chor Lieder in meiner Sprache singen können. Ich möchte meine geheimen Gedanken in der Sprache meines Herzens aufschreiben.»

Nicht zuletzt wird bestimmten Gruppen immer wieder der Zugang zu Bildung verwehrt. Dazu gehören zum Beispiel Menschen mit Behinderungen, jüngere Kinder (in manchen Familien darf nur das älteste Kind die Schule besuchen) und vor allem auch Frauen. Speziell für letztere hat die Bibelgesellschaft in Pakistan ein Projekt entwickelt, das die Weltbibelhilfe ebenfalls unterstützt: Ungefähr 36 Prozent der Frauen in Pakistan können weder lesen noch schreiben. Unter den knapp vier Millionen Christen ist der Anteil mit 66 Prozent noch deutlich höher. Denn viele von ihnen leben auf dem Land oder in Slums und arbeiten seit Generationen als Schuldsklaven in Ziegeleien, Fabriken, in der Landwirtschaft oder als Hausangestellte.

Bibel lesen, Haushaltsbudget verwalten

Im Jahr 2023 konnten durch 260 Leselernkurse der Bibelgesellschaft in Pakistan 2806 Frauen erreicht werden. Sie sind nun in der Lage, das am Kursende erhaltene Neue Testament zu lesen und ihr Haushaltsbudget besser zu verwalten. Von der eigenen Erfahrung motiviert, schicken Mütter ihre Töchter zur Schule und kümmern sich um deren Ausbildung. Wenn es um den Verkauf ihrer Produkte oder um das Einkommen geht, werden sie nicht mehr so leicht übervorteilt, da auch die Grundrechenarten im Kurs vermittelt werden.

Ghazala, eine der Teilnehmerinnen im letzten Jahr, berichtet: «Ich bin 36 Jahre alt und habe drei Kinder. Von klein auf wollte ich gern lesen und schreiben können. Als Kind arbeitete ich zusammen mit meiner Mutter in den Häusern reicher Menschen und schrieb oft Zahlen auf Papier, das ich dort fand – allerdings nie richtig.» Mit 19 heiratete sie und zog in das Haus ihrer Schwiegereltern. Ihre zwei Söhne sind bereits am College, aber die Tochter geht nicht zur Schule wegen der lokalen Parda-Vorschriften, mit denen die Abschirmung von Frauen reglementiert wird. «Anfang des Jahres kündigte unser Pfarrer an, dass im Kirchengebäude Alphabetisierungskurse für Frauen beginnen würden. Mein Mann erlaubte mir, daran teilzunehmen. Ich bin Gott dankbar, dass ich während des Kurses wirklich viel gelernt habe. Ich konnte bislang kein Geld zählen, weil ich die Beträge auf den Scheinen nicht lesen konnte. Mittlerweile gibt mir mein Mann abends das Geld, das er den Tag über verdient hat, damit ich es zähle. Ausserdem kann ich nun endlich selbst in der Bibel lesen. Ich werde meinen Mann und meine Söhne darum bitten, dass auch meine Tochter zur Schule gehen darf. Ich bin der Bibelgesellschaft und allen Partnern so dankbar, dass sie mir das Licht der Weisheit durch Bildung geschenkt haben.»

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Datum: 09.09.2024
Autor: Silke Gabrisch
Quelle: Magazin Faszination Bibel 03/2024, SCM Bundes-Verlag

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