Wege zur Gelassenheit

Ein Geschenk, für das man loslassen muss

Ein Geschenk wird übergeben
Gelassenheit wünschen sich die meisten Menschen. Unsere Leistungs- und Wettbewerbsgesellschaft produziert dieses Defizit in hohem Masse. Die Menschen fühlen sich gehetzt, nervös, angespannt und unter Zeitdruck. Nur, wie ist Gelassenheit zu gewinnen?

Der Psychiater Prof. Dr. Viktor E. Frankl war der Meinung: «Wer Gelassenheit anstrebt, dem vergeht sie!» Frankl macht uns darauf aufmerksam, dass Gelassenheit eine Beigabe ist, ein Geschenk. Gelassenheit ist die Folge unseres Bemühens zu verzichten, vieles lassen zu können. Gelassenheit lässt sich nicht erzwingen. Gelassenheit fällt uns dann als reife Frucht in den Schoss, wenn wir Personen, Besitz, Ämter, Ehren und vieles andere mehr loslassen können.

Gelassenheit hat mit loslassen zu tun

Wer etwas lassen kann, wird frei. Wer etwas lassen kann, wird ruhig. Wer etwas lassen kann, wird zufrieden. Wer etwas lassen kann, wird gelassen. Gelassenheit ist Reife und Lebensklugheit. Wesentliches stellt sich heraus, Wichtiges gewinnt an Konturen. Gelassenheit hat, wer alles, Gutes und Schlechtes, Erfreuliches und Leidvolles, aus Gottes Hand nehmen kann.

Gelassenheit gewinnen

Eine alte Sage berichtet: Ein Mensch ist unterwegs in das Land seiner Sehnsucht. Es ist eine lange und beschwerliche Reise. Endlich kommt er an einen breiten Fluss. Er weiss: Drüben, am anderen Ufer, liegt das Land der Herrlichkeit und er kann es kaum erwarten, hinüberzukommen. Er findet einen Fährmann, der bereit ist, ihn mit seinem Boot so schnell wie möglich überzusetzen. «Aber», sagt er, «du musst dein Gepäck hier lassen. Ich nehme nur Menschen ohne Ballast mit.» Der Reisende erschrickt. Es scheint ihm unmöglich, all die Dinge, die er angesammelt hat, die er liebt, die er für lebensnotwendig hält, die er auf seiner weiten Reise mühsam bis hierher geschleppt hat, einfach abzulegen und am Ufer des Flusses zurückzulassen. «Alles?», fragt der Mensch, hoffend, doch ein wenig von seiner Habe mitnehmen zu können. «Alles. Ich nehme nur dich mit. Entscheide dich», antwortet der Fährmann ernst.

Gelassenheit hat mit Verzicht zu tun. Wer Ballast nicht abwerfen kann, wird es schwer haben, lange und anstrengende Reisen zu unternehmen. Noch schwerer wird es, die letzte Lebensreise anzutreten und sich dem Fährmann ohne alles anzuvertrauen. Schon jetzt müssen wir im Leben lernen, unnötigen Ballast abzuwerfen.

Gründe und Motive für mangelnde Gelassenheit

  • Haben Sie zu hohe Erwartungen?
    Je höher die Erwartungen, desto tiefer die Enttäuschungen. Nicht erfüllte Erwartungen machen unglücklich, rufen Frust hervor.
  • Sind Sie ein Idealist?
    Ein Ideal ist nach Duden ein «Musterbild», ein «sittliches Vorbild», der «Inbegriff der Vollkommenheit». Idealist ist, wer «auf das sein Sollende blickt; der wenig auf dem Boden der Wirklichkeit stehende Schwärmer».
  • Sind Sie ein Perfektionist?
    Das Motto des Perfektionisten lautet: Nur wenn ich fehlerlos bin, werde ich geliebt. Nur wenn alles hundertprozentig verläuft, bin ich zufrieden. Der Perfektionist ist fehlerorientiert. Er sieht die Dornen, nicht die Rosen.
  • Kränken Sie sich selbst?
    Sie werden unzufrieden, wenn Sie sich selbst den eigenen Wert absprechen. Sie mögen sich nicht leiden. Sie denken, mit anderen nicht mithalten zu können.
  • Haben Sie zu hohe Ansprüche?
    Lieben Sie das Aussergewöhnliche? Wollen Sie kein Mittelmass sein? Wollen Sie das, was nicht alle haben? Dann sind Sie nicht schnell zufriedenzustellen! Dann fehlt es Ihnen an Gelassenheit!
  • Leiden Sie ab und zu unter Depressionen?
    Die meisten depressiven Menschen sind nicht gelassen. Ihr starker Ehrgeiz spielt ihnen einen Streich. Wollen Sie zu viel, dann deprimieren Sie sich selbst.
  • Kennen Sie das Wortspiel «nobility – no ability»?
    Das ist ein kluges englisches Wortspiel. Wer das Höchste, Nobelste, Beste und Optimalste anstrebt, landet leicht in der «no ability», also in der Unfähigkeit und damit in der Unzufriedenheit; Gelassenheit mangelt.
  • Neigen Sie zum Entweder-oder-Denken?
    Es beinhaltet «alles oder nichts», «ganz oder gar nicht», «Sekt oder Selters». Das Entweder-oder-Denken ist die Vorstufe zur Psychose. Dieses Denken ist vorwiegend destruktiv und unbefriedigend.

Wie erfahren wir Gelassenheit?

  • Sie erfahren Gelassenheit, wenn Sie Unerledigtes zurücklassen können. Menschen haben Pläne, Ziele und Projekte. Viele überfordern sich und wollen etwas zu Ende bringen. Je erfolgsorientierter wir leben, desto mehr geraten wir in Spannung und Hektik. Gott ist in unserer Unvollkommenheit bei uns.
     
  • Sie erfahren Gelassenheit, wenn Sie nicht mit dem Kopf durch die Wand wollen. Viele Menschen wollen etwas durchsetzen, sie lassen nicht locker. Sie können sich über vergossene Milch nicht beruhigen.
     
  • Sie erfahren Gelassenheit, wenn Sie die Vergangenheit ruhen lassen. Leben Sie im Heute. Schauen Sie zuversichtlich in die Zukunft. Das Vergangene ist vergangen. «Wenn», «hätte», «wäre» sind Vokabeln, die unsere Unzufriedenheit verstärken. Wir schauen nach hinten statt nach vorn. «Wer beim Pflügen nach hinten blickt, den kann Gott in seiner neuen Welt nicht brauchen.» (Lukas, Kapitel 9, Vers 62)

  • Sie erfahren Gelassenheit, wenn Sie negative Gedanken stoppen. Negative Gedanken produzieren negative Gefühle. Sie erzeugen ein negatives Handeln. «Mehr als auf alles achte auf deine Gedanken, denn sie bestimmen dein Leben!» (Sprüche, Kapitel 4, Vers 23)
     
  • Sie erfahren Gelassenheit, wenn Sie auf Gottes Zukunft vertrauen. Die Zukunft ist kein dunkles Loch, keine Fahrt ins Blaue. Gott hat alles in seiner Hand, wir lassen Lebens- und Existenzängste hinter uns.
     
  • Sie erfahren Gelassenheit, wenn Sie sich Gott überlassen.Sich Gott überlassen ist keine Fleissaufgabe. Wer sich ihm überlässt, der wird gelassen. Ich lebe aus ihm, durch ihn, mit ihm.

Bei diesem Artikel handelt es sich um eine Neuauflage. Er erschien bereits im September 2017 bei Livenet.

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Datum: 09.09.2023
Autor: Reinhold Ruthe
Quelle: IVCG-Magazin

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