Wie am kulturellen Ast gesägt wird, auf dem wir alle sitzen
«Es ist eine Tanne für alle Bürger, konfessionslose und gläubige», begründete Olivier Arni die Entfernungsaktion. Ebenfalls aus vorauseilendem Gehorsam gegenüber Anders- und Ungläubigen singen heute teilweise Schüler «Zimetstärn hani gern» statt «Stille Nacht, heilige Nacht».
Für wenige statt für alle?
Der Neuenburger SP-Stadtrat Olivier Arni ignoriert mit seiner Aktion einige Aspekte, die für ein selbstbewusstes Feiern der Weihnachtsgeschichte mit Josef, Maria und Jesus sprechen: Vier von fünf Menschen, die in der Schweiz leben, glauben an einen Gott. Und Muslime fühlen sich durch ihre Kultur wie auch durch verschiedene Passagen im Koran einem gläubigen Christen näher als einer Person, die keinen Glauben hat.
Der Parteislogan der Partei Arnis lautet: «Für alle statt für wenige.» Somit ist die Krippenentfernung ein Affront gegenüber dem eigenen Parteileitmotiv, gegen Christen, gegen Muslime, gegen kulturinteressierte Menschen aus Asien – denn diese interessiert die Geschichte des Abendlandes mehr als eine ausgehöhlte, sinnentleerte Kommerz-Jahresendfeier. Zudem zeigt diese Machenschaft keine Toleranz gegenüber dem religiösen Zugehörigkeitsgefühl der Mehrheit der Landesbewohner. Der dazugehörige Slogan der Partei müsste also gewendet werden in: «Für wenige statt für alle.»
«Die eigene Religion scheint uns lästig zu sein»
Der Entscheid, so Arni, sei «aus purem Menschenverstand» getroffen worden. Kulturrevolution in Neuenburg. Die Krippe war absurderweise im Vorjahr als Geschenk für den Neuenburger Bundesrat Didier Burkhalter zu dessen Präsidialjahr geschnitzt worden. Hersteller Marc Rinaldi aus dem neuenburgischen Chaumont findet die Entfernungsaktion absurd.
Von den unterschiedlichsten Seiten hagelte es Protest, SP-Stadtpräsident Thomas Facchinetti sprach plötzlich zurückkrebsend von einem Missverständnis – nicht mehr von gesundem Menschenverstand, wie sein Parteikollege kurz zuvor. Facchinetti redete sich heraus, dass die Krippe nicht «einen Meter neben einem Parking» aufgestellt werden könne und weiter: «Die Krippe wird beim Temple du Bas aufgestellt, einer reformierten Kirche. Dieser Ort ist angemessener.»
Der Schriftsteller Pedro Lenz schrieb in einer Blick-Kolumne zu Weihnachten über die schwindende spirituelle Bedeutung des Fests: «Statt über die eigene Religion reden wir über die Religion der andern. Es wird schwierig, mit anderen Religionen in Dialog zu treten, wenn wir keine Ahnung mehr haben, aus welchem religiösen Stall wir selbst kommen... Die eigene religiöse Prägung scheint uns gerade in der Weihnachtszeit lästig zu sein.» Damit kritisiert er die Tendenz, die Geschichte vom Kind, das in Windeln gewickelt in einer Futterkrippe lag, an den Rand zu drängen oder gar zu ignorieren.
An kulturellem Ast gesägt
Die «NZZ» deckt auf, dass der religiöse Gehalt des Festes zusehends in den Hintergrund gedrängt wird, unter anderem ebenfalls an dem nicht zu unterschätzenden Geschehnis in der Westschweiz. «Mit aller Macht aber griff die Stadt ein, als Figuren von Maria, Joseph und dem Jesuskind aufgestellt wurden. Begründung: Religiöse Symbole auf öffentlichem Grund seien nicht akzeptabel, auch im Advent nicht. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass der Weihnachtsmarkt in den Augen der Stadtoberen gar nichts mehr mit dem christlichen Glauben zu tun hat, gewissermassen religiös hors-sol und damit bewilligungsfähig ist.»
Das Beispiel zeige nicht nur, «mit welch selbstzerstörerischem Fanatismus hiesige Politiker bisweilen am kulturellen Ast sägen, auf dem wir alle – ob nun gläubig oder nicht – sitzen.» Es belege auch, wie weit sich die öffentliche Weihnacht vom kirchlichen Fest zu Christi Geburt bereits entfernt habe.
Kultur nicht verleugnen
In einer anonymen Umfrage des Lehrerverbandes des Kantons Zürich ging hervor, dass es in vielen Schulzimmern knifflig wird, sobald es um den christlichen Hintergrund des Weihnachtsfests geht. Zum Beispiel dann, wenn es um das Singen christlicher Weihnachtslieder geht. Ein Lehrer sagte, dass er darauf achtet, dass er Lieder wählt, in denen Worte wie Jesus nicht vorkommen, um nicht «die religiösen Gefühle von Kindern und Lehrern zu verletzen.» Derzeit sind solche Voten offenbar in der Minderheit.
Der grössere Teil der befragten Zürcher Lehrer sagt laut «idea Spektrum», dass die Wurzeln der Festtage nicht unter den Tisch fallen gelassen werden sollen. «Wir leben in einer christlichen Kultur, sollen zwar tolerant sein, dürfen aber unsere Werte nicht verleugnen.» Der kulturelle und traditionelle Hintergrund der Schweiz beinhaltet Weihnachten und das bedeute keine Diskriminierung im Klassenzimmer. Jemand sagte beispielsweise: «Ich erzähle sogar die Weihnachtsgeschichte, die Kinder müssen den Inhalt nicht glauben, aber sie müssen unser Brauchtum kennen.» Jemand sagte, dass in seiner Klasse 15 der 40 Kinder muslimisch seien und es habe nie Probleme beim Erzählen der Weihnachtsgeschichte gegeben.
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Datum: 29.12.2015
Autor: Daniel Gerber / Florian Wüthrich
Quelle: Livenet