US-Wahl 2020

Trump: Der «Gesalbte Gottes»?

Nicht wenige schütteln hierzulande den Kopf darüber, dass es so viele evangelikale Christen in den USA gibt, die treu zu Donald Trump stehen.
Donald Trump (Bild: Facebook)

Unter den Nicht-Christen versteht das bei uns kaum jemand, unter Christen sind die Meinungen geteilt.Es gibt tatsächlich viele Entscheidungen Trumps, die ganz dem Willen seiner christlichen Wähler entsprechen: An oberster Stelle sind es die Erschwerung der Abtreibung und die unbedingte Unterstützung Israels. Darüber hinaus gibt es viele weitere Entscheidungen und Voten Trumps, die von evangelikalen Christen begrüsst werden (siehe ).

Evangelikale Christen in den USA sehen ihr Land schon seit vielen Jahren auf einem gottlosen Weg. Trump ist für sie der Politiker, der etwas dagegen tut, dass sich die amerikanische Gesellschaft immer weiter von den Geboten Gottes entfernt. Für sie ist er ein Fürsprecher und Kämpfer ihrer Interessen, auch wenn er mit seiner Lebensführung offensichtlich nicht dafür steht.

Donald Trump – ein Kyros der heutigen Zeit?

Dennoch sehen sie in ihm ein «Werkzeug Gottes». Für sie ist das kein Widerspruch, weil es Männer gebe, die selbst gottlos sind und trotzdem von Gott benützt würden, so wie der persische König Kyros – ein Beispiel aus dem Alten Testament. Kyros hatte die Juden aus dem Exil entlassen und ihnen den Wiederaufbau Jerusalems und des Tempels ermöglicht und sie dabei unterstützt.

In den USA wird eine Münze vertrieben, die im Wahlkampf verwendet wird. Sie zeigt auf der auf der einen Seite die Profile von Kyros und Trump. Auf der Rückseite wird der Ausspruch des Propheten Jesaja über Kyros abgebildet: «Gott hat Kyros für eine besondere Aufgabe erwählt: Er wird ihn an seiner rechten Hand nehmen und ihm zum Sieg über viele Völker verhelfen; ...» (Die Bibel, Buch des Propheten Jesaja, Kapitel 45, Vers 1)

Je gläubiger, desto näher an Trump

Etliche evangelikale Vertreter in den USA bezeichnen Trump im Sinn des zitierten Verses als «Gesalbten Gottes». Je stärker die Bindung von Christen an eine Gemeinde und den Glauben ist, desto stärker stimmen sie der Einschätzung zu, dass Trump der «Gesalbte Gottes» ist, wie Studien des Politikwissenschaftlers Paul Djupe belegen. Die Bezeichnung wird nicht nur von politisch rechts stehenden evangelikalen Leitern wie Franklin Graham und Jim Bakker benutzt, sondern auch von vielen weiteren christlichen Leitern, republikanischen Politikern und konservativen Journalisten.

Anlässlich der Einweihung der US-Botschaft in Jerusalem im März bezeichnete auch Ministerpräsidient Benjamin Netanjahu seinen Amtskollegen und Freund Donald Trump als einen Kyrus.

Kein Wort der Kritik

Es sind zumeist die Themen Abtreibung, Ehe und Israel auf die sich die Aufmerksamkeit vor allem konservativer Christen fokussiert. Doch es gibt viele weitere Felder der Politik, die Christen wichtig sein sollten: Einwanderung und Hilfe für Flüchtlinge oder die Unterstützung armer Länder. Sozialpolitik, vor allem Hilfe für Arme, Schwache und Benachteiligte. Und da geht es in der Folge um Steuer-, Rechts-, Innen- und Gesundheitspolitk. Und dann ist da das ganze Gebiet des Umweltschutzes, das für Christen einen hohen Stellenwert haben sollte.

Es gibt sehr wohl Christen, die zu Israel in enger Freundschaft stehen und die nicht der Meinung sind, dass Jerusalem zwingend die Hauptstadt des heutigen – säkularen – Israels sein muss und nur die Grenzen des davidischen Reiches akzeptieren. Christen, die auf Versöhnung und Verständigung setzen, auch im Nahen Osten, und die für Israel einstehen und beten.

Warum aber äussern sich nicht mehr evangelikale Vertreter und Leiter in den USA kritisch dazu, wie Trump redet, die Unwahrheit sagt, Menschen herabsetzt und ihnen Schlechtes wünscht? Ein Mann, der Armut und Schwachheit geradezu verachtet. Jemand, der mit fast jedem im Streit zu sein scheint, der persönlich und über seine Firmen an die 3'500 Prozesse geführt haben soll. Es ist doch möglich, Trumps Politik zu bejahen und ihn dennoch zu kritisieren. Das passiert aber nicht.

Kyros – ein Beispiel für heute?

Es ist zu fragen, wie sinnvoll es ist, mit Kyros ein Beispiel (einen Archetypus) zu schaffen, wie Gott heute durch Menschen politisch handelt. Es ist eine fragwürdige Herleitung. Im Neuen Testament ist eine viel grössere Distanz zur Politik zu erkennen, bei Jesus und auch bei Paulus. Ich will damit aber absolut nicht sagen, dass Christen sich aus der Politik heraushalten sollten – ganz im Gegenteil! Christen sind aufgerufen, sich zu informieren und eine Meinung zu bilden, zu beten und – wenn möglich – zu engagieren.

Warum also ein «frommer Mantel» wie Werkzeug und Gesalbter Gottes? Eine solche Überhöhung gab es unter Evangelikalen auch, als der Krieg gegen den Irak geführt wurde und sich manche amerikanische Prediger dazu verstiegen, die US-Soldaten als Kämpfer und Engel des Lichts zu bezeichnen. Vermutlich zeitgleich zu den staatlich legitimierten Folterungen in Auslandsgefängnissen und in Abu Graib.

Kommentar: Keine Überhöhungen!

Ich kann nachvollziehen, dass Christen in Trump jemanden sehen, der Ihre Interessen vertritt. Aber Bezeichnungen wie Werkzeug Gottes und Gesalbter Gottes entziehen ihn jeder Sachkritik. Von einem politisch Verantwortlichen erwarte ich, dass er sich der Wahrheit, dem Miteinander der Gesellschaft und dem Bemühen um Versöhnung verpflichtet weiss. Bei Trump ist das nicht zu sehen, nicht einmal als Ziel.

Ich würde im übrigen eine solche Kyros-Überhöhung und Bezeichnung eines Politikers auch dann ablehnen, wenn er (oder sie) mehr meinen politischen Vorstellungen entsprechen würde, als das bei Trump der Fall ist. Überhöhungen machen blind für die Wirklichkeit und verstellen den Blick. Und es darf gefragt werden, ob das nicht genau die Absicht derer ist, die solche Überhöhungen in die Welt setzen.

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Datum: 28.09.2020
Autor: Norbert Abt
Quelle: Livenet

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