Zankapfel Jerusalem

Erdogan zeigt wachsende Begehrlichkeiten

«Jerusalem gehört uns!» Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will das Osmanische Reich wiederbeleben. Unter Tränen habe man Jerusalem im Ersten Weltkrieg hergeben müssen. Noch heute würden türkische Muslime zuerst in Richtung Jerusalem beten, dann erst nach Mekka, so Erdogan.
Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei

Nur wenige kritisieren die Friedensverträge zwischen Israel und einer wachsenden Anzahl arabischer Staaten: namentlich die Türkei und der Iran. Der Ton aus Ankara gegenüber Jerusalem ist zuletzt feindseliger geworden. Erst vergangene Woche nannte Erdogan während einer Sitzung des türkischen Parlaments Jerusalem «unsere Stadt».

Mit «unsere Stadt» in seiner Rede meinte Erdogan, dass Jerusalem Teil der Türkei sein sollte, weil die Türken in den 400 Jahren, in denen das Osmanische Reich bestand, das heutige Israel besetzt gehalten hatten.

«In dieser Stadt, die wir während des Ersten Weltkriegs unter Tränen verlassen mussten, kann man immer noch auf Spuren des osmanischen Widerstands stossen. Jerusalem ist also unsere Stadt, eine Stadt von uns», führte Erdogan weiter aus. Der osmanische Sultan Süleiman habe die gegenwärtigen Mauern der Altstadt errichtet, ein Zeichen, wie wichtig Jerusalem den Türken sei.

«Wir beten in Richtung Jerusalem»

Türkische Muslime würden zuerst in Richtung Al-Aqsa-Moschee und Felsendom in Jerusalem beten und erst dann in Richtung Mekka und Medina in Saudi-Arabien. «Unsere erste Qibla (Anm.d.Red.: Gebetsrichtung im Islam) ist Al-Aqsa und der Felsendom. Sie sind die symbolischen Moscheen unseres Glaubens.»

Zwar versucht Erdogan, Einfluss auf die muslimische Verwaltung der Moscheen auf dem Tempelberg zu nehmen – dagegen wehrt sich Jordanien allerdings massiv. Mittlerweile soll Erdogan die Hamas unterstützen und manchen Mitgliedern türkische Pässe ausgestellt haben.

Laut Israels Verteidigungsminister Benny Gantz ist die Türkei zu einer «destabilisierenden Macht» im Nahen Osten geworden. Unter anderem durch die Operationen im libyschen Bürgerkrieg sowie in Syrien.

«Befreiung von Al-Aqsa»

Die Hagia Sophia sowie ein traditionsreiches, christliches Kloster hat Erdogan schon in Moscheen umgewandelt. Schon vor seiner Rede vor dem Parlament wurde die «Befreiung der Al-Aqsa» zur Staatsideologie erhoben, wie die «Süddeutsche Zeitung» bereits im September berichtete. Gemeint sei damit jedoch nicht einzig die Moschee, sondern das gesamte Plateau des Tempelberges – danach streben türkische Islamisten schon länger.

Bereits am Tag der Umwidmung der Hagia Sophia zeigten staatsnahe, türkische Jugendstiftungen Plakate, die zur baldigen «Befreiung der Al-Aqsa» aufriefen. Inzwischen reisen vermehrt türkische Pilgergruppen auf den Tempelberg, um vor dem Felsendom türkische Flaggen zu zeigen und das Porträt von Erdogan – mittlerweile hat die israelische Polizei das Zeigen politischer Symbole auf dem Plateau untersagt.

Wind of Change

Während sich die Türkei namentlich – aber nicht nur – unter Erdogan gegen Israel wendet und Jerusalem damit weiter Zankapfel der Nationen bleibt, wie es bereits die Bibel beschrieben hat, finden andere arabische Staaten einen ganz anderen Umgang mit dem Heiligen Land.

Die Vereinigten Arabischen Emirate schlossen ebenso Frieden mit Israel wie auch Bahrain. Hinter den Kulissen zählt auch der Sudan zu den möglichen nächsten Friedenskandidaten. Und zu den treibenden Kräften bei diesen Bestrebungen zählt Saudi-Arabien: Riad näherte sich in den letzten Jahren Jerusalem an – im High-Tech-Sektor sind erste Zusammenarbeiten eingegangen worden, darunter für die futuristische, saudische Stadt Neom.

Während Erdogan immer klarer nach Jerusalem schielt, könnte nun in der gleichen Zeit mit einem langjährigen Erzfeind ein Friedensvertrag abgeschlossen werden.

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Datum: 13.10.2020
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet / Süddeutsche Zeitung / Israel heute

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