Vom Glauben reden – wie geht das heute?
«In vergangenen Jahrhunderten gehörte man zu einer Kirche und blieb dabei», stellt Emanuel Hunziker fest. Heute stehe nicht die Kirchenzugehörigkeit im Zentrum, sondern die Person Jesus. Ihm nachzufolgen bedeute, Zeit mit ihm zu verbringen und von ihm zu lernen. Wie in einer Lehre schaue man beim Meister, womit er sich beschäftigt, was er kann. «Wenn wir das Leben in Fülle haben wollen, welches Jesus uns verheissen hat, müssen wir so leben, wie er das getan hat», zitiert der Pastor den Autor John Marc Comer. Jesus habe sich immer wieder in der Stille die Gemeinschaft mit Gott gesucht. «Wie mache ich das praktisch?», fragt Hunziker. Er ist überzeugt: «Unsere erste Berufung ist, mit Jesus zusammen zu sein.» Einerseits geschehe das durch Gebet, Bibellese, Gottesdienstbesuch, aber auch durch das Bewusstsein: «Gott ist immer da.» Es gehe darum, im Alltag, im Beruf, im Zusammensein mit anderen mit Jesus verbunden zu bleiben: «Wir leben in seiner Gegenwart.» Auf dieser Grundlage geschehe alles Tun zu seiner Ehre.
Menschen für Gott begeistern
Heute gebe es Megachurches, die viel bewegen könnten. «Doch genauso wertvoll sind kleine Kirchen», findet Hunziker. Bevor er die Leitung seiner Kirche übernahm, überprüfte er nochmals seine Motivation. «Bei uns soll erkennbar sein, dass wir Jesus nachfolgen. Wir suchen gemeinsam Wege, mit unseren Talenten, Finanzen, im Beruf und unserem Umfeld Menschen zu Jesus zu führen. Darüber wollen wir austauschen und auch über Schwierigkeiten und Versagen reden.» Heute könne man nicht mehr voraussetzen, dass das Gegenüber mit den Grundlagen des Christentums vertraut sei. Man müsse andere Zugänge finden, um über den Glauben zu reden und sich den kulturellen Gegebenheiten anpassen. Ein guter Grundsatz sei: «Sag nur etwas, wenn du gefragt wirst, aber lebe so, dass du gefragt wirst.» Es sei nicht unser Auftrag, Menschen zu belehren: «Aber wenn eine Vertrauensbasis da ist, kann man von Glaubenserfahrungen reden.»
In westlichen Ländern werde es schnell als übergriffig empfunden, wenn man Glauben thematisiere. Es gehe darum, empathisch zu sein und zu spüren, wann was dran ist. Die Evangelien zeigten sehr gut auf, wie Jesus auf Menschen zuging. Der Samaritanerin am Brunnen begegnete er anders als dem Pharisäer Nikodemus. «Jesus ging seelsorgerlich behutsam auf die Frau zu – wir können von ihm lernen, sich die Geschichte unseres Gegenübers vor Augen zu führen.» Gleichzeitig gelte es, auf die Stimme des Heiligen Geistes zu hören und sich den Schlüssel zu seinem Herzen zeigen zu lassen. Dann könne man anbieten: «Ich habe Antworten gefunden – wenn du willst, erzähle ich dir gern davon.»
Demut, Toleranz, Geduld
Es brauche heute eine grosse Toleranz für verschiedenste Lebensformen. «Wir können bezeugen, was wir mit Jesus erleben – aber was es mit dem anderen macht, liegt nicht in unserer Hand», betont Hunziker. Er zitiert den Autor Timothy Keller: «Es braucht Demut, Toleranz und Geduld im Umgang mit Menschen.» Geduld sei ein Ausdruck von Liebe, und unter Toleranz versteht Keller, den Nächsten als Geschöpf Gottes zu respektieren. «Jeder ist frei, so zu leben, wie er es möchte – auch wenn ich seinen Lebensstil nicht in allem befürworte», erläutert Hunziker. Auch Demut sei nötig: «Es gibt Fragen, auf die haben wir keine Antwort. Auch die Bibel gibt sie nicht – das können wir eingestehen.» Doch Demut, Geduld und Toleranz ermöglichten Gespräche – auch bei gegensätzlichen Ansichten.
Versöhnung finden
Emanuel ist Vater eines behinderten Kindes. So kommt er mit ebenfalls betroffenen Familien in Kontakt. «Wenn ich dann von Jesus spreche, bewirkt das etwas», stellt er fest. Auf die Frage eines Mannes, was er in seiner Kirche so mache, antwortete er: «Bei uns geht es um Jesus – es ist wichtig, dass wir Vergebung finden, mit uns selbst und unseren Mitmenschen.» Nun erzählte sein Gegenüber, dass er sich nicht mit seiner Grossmutter habe versöhnen können, bevor sie starb. «So kamen wir auf ganz tiefe Themen zu sprechen», erinnert sich der dreifache Vater. «Indem ich von mir etwas preisgab, öffnete sich auch sein Herz.»
Die These «Es gibt keine absolute Wahrheit» widerspreche sich selbst, stellt Hunziker klar. Israel hatte einen Gott, glaubte an seine Wahrheit – dennoch liess Gott zu, dass sie nach Babylon verschleppt wurden. «Er hat keine Angst vor anderen Meinungen.» Auch müssten Christen keinen Gottesstaat errichten – das sei nicht ihre Aufgabe. «Jesus war Botschafter vom Himmel – so sollen wir Botschafter sein von ihm.» Christen könnten dazu stehen: «Das glaube ich», ohne den Anspruch, dass alle ihre Überzeugung übernehmen. «Wenn wir nahe mit Gott verbunden sind, strahlt die Herrlichkeit Gottes durch uns hindurch. So müssen wir niemanden bedrängen, sondern können wir vieles stehen lassen.»
Sehen Sie sich hier den Talk mit Emanuel Hunziker an:
Zum Thema:
Kritisches Hinterfragen ist erlaubt: konstruktion bei Jugendlichen – eine Chance?
Das Evangelium neu umarmen: rständlich vom Glauben reden
Grosse Chance: Internet vom Glauben reden
Datum: 26.11.2024
Autor:
Mirjam Fisch-Köhler
Quelle:
Livenet