Unkonventionelle Seelsorge

Hirte, Meister, Freund – überrascht von der Seelsorge Jesu

Peter Zimmerling
Der Theologe Peter Zimmerling schrieb während der Coronazeit ein Seelsorge-Lehrbuch. Aus einem Teil davon entstand ein weiteres, das Jesus als Hirte, Meister und Freund zeigt. Dass es schon in dritter Auflage aufliegt, bestätigt seine Aktualität.

«Es hat mich überrascht, dass es kaum Literatur gibt zum Thema Jesus als Seelsorger», erklärt Peter Zimmerling. Er sei geprägt von der Seelsorgebewegung der 70er-Jahre, erklärt der Professor für Theologie mit Schwerpunkt Seelsorge an der Universität Tübingen. Damals habe man begeistert die therapeutischen Methoden nach Jung, Freud oder Adler angewendet. Jesus zeige sich jedoch als Seelsorger ohne Methode: «Er begegnete den Menschen unterschiedlich. In seiner Seelsorge kommt das Leben in seiner ganzen Komplexität zur Sprache.» Die Bibel zeige auch in anderen Belangen Gegensätzlichkeit. So werde Gott einerseits als liebender Vater beschrieben, andrerseits als gerechter Richter; Jesus war Hirte und Opferlamm.

Interessant findet der Autor, dass die erste Darstellung Jesu die eines Hirten war. Man habe sie in römischen Katakomben entdeckt. «Die ersten Christen erkannten in Jesus wohl die Eigenschaften eines guten Hirten», führt Zimmerling aus. In jener Zeit waren Schafe überall zu finden. Der fürsorgliche Umgang eines Hirten mit seinen Tieren zeigte sich auch beim Gottessohn, wenn er Menschen begegnete.

«Ich wollte kein Schaf sein»

Als Jugendlicher nabelte sich Peter Zimmerling von seiner Familie ab, suchte seinen eigenen Weg. Als er im Religionsunterricht Jesus kennenlernte, wollte er jedoch nicht dessen Schaf sein – er mochte nicht als dumm verkauft werden. «Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, dass Jesus Menschen nicht am Gängelband führen will, sondern sie in die Freiheit der Kinder Gottes bringt.» Er schätze ihre Vielfalt, begleite und beschütze sie, wie ein Hirte seine Herde. 

Zimmerling führt aus: «In der Kindheit spielen der gute Hirte und der liebende Vater eine wichtige Rolle, in der Jugend tritt Jesus als Freund in den Vordergrund, später wird Jesus als Meister oder Lehrer wichtig.» Mit zunehmendem Alter werde oft wieder der liebende Vater entdeckt, das entspreche auch seiner persönlichen Wahrnehmung. Erik Erikson`s entwicklungspsychologisches Konzept zeige ebenfalls auf, dass Bilder jeweils zu den Aufgaben der Lebenszeit passten. In der Pubertät verändere sich der Körper, der junge Mensch müsse selbständig werden, sich von der Familie lösen, das kindliche Gottesbild durch ein reiferes ersetzen. Da sei das Bild Jesu als Freund angemessen: «Er ermutigt uns, die nötigen Schritte in Unabhängigkeit und Freiheit zu gehen.»

Die Hirtenrede Jesu

Im Johannesevangelium wird Jesus als Hirte beschrieben. Der Theologe sieht heute politische Herrscher, die sich nicht wie Hirten verhalten, sondern sich selbst in den Mittelpunkt stellen. Jesus werde als Herr bezeichnet – jedoch war er bereit, sein Leben zu lassen für die ihm Anvertrauten. Dies sei ein grosser Unterschied zu Machthabern, die vor allem das eigene Vorankommen im Blick hätten. «Das Leben der Schafe ist tödlich bedroht, wenn der Hirte sein Amt vernachlässigt», schreibt Zimmerling in seinem Buch.

Mehr als Gespräche

Seelsorge werde oft als verabredetes Gespräch zwischen zwei Menschen verstanden. Dabei könnten auch biblische Gnadenmittel seelsorgerlich verstanden werden, so Abendmahl oder Taufe. Diese werde oft als einmaliger Akt der Erlösung oder des Bekennens verstanden. Er sieht sie jedoch als Gestaltungsaufgabe: «Sie soll uns durchs ganze Leben daran erinnern, dass wir Töchter und Söhne Gottes sind.» Er zitiert Martin Luther: «Wir sollen täglich hineinkriechen in unsere Taufe.» Damit meine er, dass wir täglich Vergebung empfangen könnten. 

Auch das Abendmahl sei kein Heilmittel zur Unsterblichkeit, sondern sei Wegzehrung für den Alltag, wolle die Kraft vermitteln, am göttlichen Leben Anteil zu nehmen. Heute erlebten Rituale wie Taufe, Handauflegen, Segnung oder Salbung eine Renaissance. «Wir werden ständig beschallt, da sind Rituale als Gegengewicht notwendig», meint der Seelsorger. «Sie können Wegzeichen sein, sinnliche und emotionale Vertiefung des Glaubens bieten.»

Biblische Beispiele

Anhand biblischer Beispiele zeigt Peter Zimmerling, wie man Gott «ins Herz schauen» könne. Er nennt den verlorenen Sohn als Beispiel. «Als armer Mensch konnte man die Gebote Gottes damals nicht alle genau befolgen, man hatte nicht genug Geld, um am Sabbat aufs Einkommen zu verzichten.» Deshalb habe Jesus auch gegen die strikten Reinigungsvorschriften opponiert. «Nicht was von aussen in euch hineinkommt, macht euch unrein, sondern das, was aus euch herauskommt, euer Reden und Denken.» So revolutionierte Jesus das Gottesverständnis. «Der Vater hätte dem Sohn das Erbe nicht auszahlen müssen, und er hielt ihn auch nicht davon ab, wegzugehen», betont Zimmerling. Dies habe dem Freigegebenen ermöglicht, in Freiheit wieder heimzukehren. Heute versuchten viele Eltern, ihren Kindern zu folgen, zum Beispiel auf Sozialen Medien. So seien diese nicht wirklich frei. Er nennt Rembrandt`s Bild vom verlorenen Sohn: «Der Vater hat darauf eine Frauen- und eine Männerhand.» Damit zeige der Maler, dass Gott sowohl väterlich wie auch mütterlich agiere. Das Gleichnis ende ohne Schluss – man erfahre nicht, ob der ältere Sohn am Fest teilnahm oder sein Herz weiter verhärtet habe. Für den Theologen und Seelsorger Zimmerling steht jedenfalls fest: «Jesus selbst ist der eigentliche Seelsorger oder der Dritte im Bunde einer Beratung.»

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Datum: 04.03.2025
Autor: Mirjam Fisch-Köhler
Quelle: Livenet

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