Avatar 2 – überraschende Durchblicke
Klar, die Natur-Mystik steht im Vordergrund. Die schöne heile Welt der Nav'i, zuerst in Grün und dann in Blau. Im brutalen Gegensatz dazu die böse Technik, die riesig, überlegen und gnadenlos in die schöne Naturwelt einbricht. Geldgier macht Natur kaputt, die meisten Menschen sind auf der bösen Seite – okay. Und wenn man den Vater im Himmel nicht persönlich kennt, landet man meistens bei Mutter Erde – auch das ist noch irgendwie verständlich.
Aber abgesehen vom öko-philosophischen Background: Was mir neben der atemberaubenden 3D-Technik und den unglaublichen Computeranimationen gefallen hat, sind drei Eindrücke, die bleiben. Eindrücke, die eine andere Art von 3D-Durchblick voraussetzen.
Unsere Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies
Unausrottbar lebt offenbar in uns die Sehnsucht – eigentlich die kollektive Erinnerung – an eine «vollkommene Welt», die wir verloren haben. Je schwieriger, gefühlt kaputter und verwirrender unsere Realität ist, um so grösser wird die Sehnsucht. Unsere Welt ist nicht so, wie sie ursprünglich kreiert wurde und wie sie sein sollte – eine Grundaussage ebenfalls der Bibel, die dabei einen Schritt weitergeht: Es ist die Geschichte einer Erlösung. Das verlorene Paradies ist nicht das letzte Wort.
Da ist etwas Spirituelles
Selbstverständlich in «Avatar»: Die Welt hat materiell-spirituellen Charakter. Es gibt andere Dimensionen, und vor allem in der Not kann man eine andere Macht anrufen. Davon geht die christliche Lehre auch aus – und sie geht weiter: Dieses «Etwas» hat einen Namen, ein Gesicht, ist persönlich, liebevoll, gerecht und ansprechbar. In entscheidenden Augenblicken in «Avatar» hilft diese spirituelle Kraft, ja, sie ist für das schlussendliche Überleben verantwortlich. Und so ist es ja auch in Real Life: Millionen gläubiger Menschen auf der Welt können in ihrer eigenen Erfahrung ein Lied davon singen (und tun es auch…).
Die Familie
Im Zentrum steht die Avatarenfamilie Sully – Papa Jake, Mama Neytiri und 3 Kids samt 2 angenommenen: eine recht normale Familie. Papa kämpft und beschützt, Mama denkt und kämpft emanzipiert mit. Die beiden lieben sich. Man geht weitgehend liebevoll miteinander um, kümmert sich umeinander, und Papas Wort gilt. Sein jeweils letztes Wort wird von den halbwüchsigen Söhnen mit «Yes, Sir» quittiert. Die Kombination von Liebe, Fürsorge, gesunder Autorität und sanftem, gewaltlosem Umgang macht die Familie sympathisch. Und es ist eine Hauptbotschaft des Films: dass die Familie schützt, dass man zusammenhält und dass nicht nur «biologische» Kinder in diesen Schutzraum gehören können.
Post-Avatar-Syndrom?
Am Ende des Films war es totenstill, und die meisten Zuschauer und Zuschauerinnen tauchten nur widerwillig aus der grandiosen Film- in die nüchterne Welt des Kino-Foyers auf, schien es mir. Es gibt mittlerweile ein Post-Avatar-Syndrom – Giuseppe Gracia hat Kluges dazu zu sagen – und so gesehen spricht das Mega-Spektakel neben guter Unterhaltung auch ein paar wichtige Fragen an. Fragen, aus denen gute Gespräche werden könnten.
Datum: 31.01.2023
Autor:
Reinhold Scharnowski
Quelle:
Livenet