Auf Zwischenhalt in Brandenburg
Elstal ist ein kleiner Ort westlich von Berlin. Im Süden lockt eine brandenburgische Heidelandschaft zum Spazierengehen. Am Ortsrand stehen noch restaurierte Teile des Olympischen Dorfes von 1936 und auf der anderen Seite verführt ein grosses Designer-Outlet zum Shoppen. Als wären das nicht Gegensätze genug, liegt seit 25 Jahren mittendrin der grosse Campus der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinden mitsamt Hochschule, Missionsgesellschaft, Diakoniewerk – und neuerdings einem ausrangierten Eisenbahnwaggon.
Krise und Boom
2018 stellte sich die kleine Gemeinde auf dem Campus die Frage, wie es weitergehen sollte: «Wir waren nur sehr Wenige, unterjüngt, ohne Hauptamtliche, ohne eigene Räume», erzählen die Gemeindeleiter Sabine und Joachim Gnep. Sie standen vor der Entscheidung: schliessen oder neu durchstarten? Etwa 20 Mitglieder der Gemeinde beschlossen weiterzumachen, aber nicht einfach wie immer, sondern mit einem neuem Projekt: einem öffentlichen Raum der Begegnung. Warum? «Weil Elstal boomt!», sagt Joachim Gnep. In den lebendigen Ort im Berliner Einzugsgebiet ziehen so viele Menschen, dass die soziale Infrastruktur kaum nachkommt und Begegnungsorte fehlen. «Wir wollen durch das Kennenlernen und den Zusammenhalt im Ort Menschen stärken und unterschiedlichste Personen zusammen-bringen.»
Historische Wurzeln
Weil die Raumsuche sich als schwierig erwies, besann man sich auf die Geschichte des Ortes: Anfang des 20. Jahrhunderts wurde hier ein Verschiebebahnhof angelegt und es entstand die Eisenbahnersiedlung Elstal mit Wohnungen für die Bahnmitarbeiter und einer Schule. Noch heute erinnern Eisenbahnerfeste an die Zeit, die Eisenbahnersiedlung ist denkmalgeschützt.
Wie kommt man an einen Waggon?
Den alten Gepäckwagen der Österreichischen Bundesbahn fand die kleine Gemeinde ganz in der Nähe: auf einem Abstellgleis auf dem Elstaler Bahnhofsgelände. «Der Besitzer war sehr aufgeschlossen und geduldig», erzählt Jochaim Gnep. «Wir wollten den Waggon ursprünglich kaufen, aber nicht bevor wir eine Baugenehmigung haben und alle rechtlichen Dinge geprüft waren. Und schliesslich hat er den Waggon sogar gespendet!»
Auch von vielen anderen Seiten bekamen sie Förderungen, Spenden und Unterstützung, sodass sie den 40 Tonnen schweren Waggon 2020 mit zwei Kränen an seinem Bestimmungsort auf dem Grundstück der Immanuel Albertinen Diakonie aufstellen konnten.
Rückschläge und Überwindungen
Viele Herausforderungen begannen da aber erst. Wegen der Corona-Pandemie durften Arbeitseinsätze nicht stattfinden, Preise stiegen, Experten waren schwer zu finden, Genehmigungen liessen auf sich warten: «Schliesslich kennen sich Architekten und Ämter mit Häusern und anderen Bauten aus, aber nicht mit der Aufstellung eines Eisenbahnwaggons in einem Wohngebiet», erklärt Joachim Gnep. Fast sah es schon so aus, als müsste der Traum vom Eisenbahncafé sterben.
Doch dank einer Menge Zuspruch und Unterstützung kämpften sie sich durch, renovierten den Waggon, richteten ihn geschmackvoll ein und legten Aussenanlagen und Terrasse an.
Feierliche Einweihung
Am 18. März 2023 feierte das «Café Zwischenhalt» schliesslich Eröffnung – mit über 350 Gästen. Seitdem ist es an vier bis fünf Tagen in der Woche geöffnet. Getränke und Speisen gibt es kostenlos. Spenden werden angenommen. Das Team ist auf 37 Ehrenamtliche angewachsen, von denen etliche nicht zur Gemeinde gehören. Freundschaften sind längst entstanden, das Ziel von einem Ort, der Begegnungen ermöglicht, ist erreicht – es kommen Gäste «von Schnuller bis Rollator», wie Joachim Gnep sagt. Gern möchten sie Menschen auch mit in ihren Glauben hineinnehmen. Aktuell bieten sie dafür einmal im Monat einen Sonntagsbrunch an. Ausserdem feiern sie Gottesdienste. Nach all den Herausforderungen haben sie im Moment den Eindruck, einfach nur geniessen zu dürfen: «Es läuft!», freut sich das Ehepaar.
Zur Website:
Café Zwischenhalt
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Datum: 01.08.2024
Autor:
Helene Berger
Quelle:
Magazin Dran 4/2024, SCM Bundes-Verlag