Liebt Gott alle Menschen bedingungslos?
Um es grad vorweg zu nehmen: Viele leiden unter christlichem Leistungsdruck und je ernster sie ihren Glauben nehmen, um so schwerer kann die Last werden, die man da mit sich rumträgt: Schaff ich's bis zum Himmel? Bin ich gut genug? Tue ich genug? Und was ist mit meinen Fehlern?
Für einen solchen Menschen kann die Erfahrung der «bedingungslosen Liebe» Gottes eine grosse Befreiung sein: Ich bin angenommen ohne Leistung und so wie ich bin. Warum? Und jetzt kommt es: Nicht weil Papa Gott mich armen Sünder so gern hat, sondern weil Jesus vor mich hintritt und mir seine Heiligkeit schenkt. Gott sieht mich «durch die Brille Jesus» und kann mich darum so annehmen, wie ich bin (dass er mich dann zum Glück nicht lässt, wie ich bin, ist ein anderes Thema). Dann kann ich mit dem Römerbrief sagen: «Ist Gott für mich, wer kann dann gegen mich sein?» (Römerbrief 8:31 – am besten bis Vers 39 weiterlesen). Meine Identität ist Christus, und das holt mich immer wieder aus der frommen Nabelschau und den Selbstzweifeln raus.
Der Grossvater im Himmel
Aber kann man daraus schliessen, dass Gott alle Menschen bedingungslos liebt? Überlegen wir uns mal, was das bedeuten würde: Da sitzt einer im Himmel, der zwar mal seine Gebote gegeben und den Menschen mitgeteilt hat, wie er sich das Leben vorstellt. Wenn sie diese massenhaft übertreten und ihm gewohnheitsmässig den Rücken kehren, macht ihm das nichts aus – er hat sie ja alle so lieb. In leichter Abänderung eines Voltaire-Zitats: «Gott liebt alle, dazu ist er schliesslich da.»
Frage: Ändert eine solche undifferenzierte Aussage etwas? C.S. Lewis hat einmal gesagt: «Die Menschen suchen nicht einen Vater im Himmel, sondern eher einen Grossvater, der lächelnd sagt: Lass die Kinder nur machen.» Hat «bedingungslos» nicht zur Folge, dass ich mir sage «dann ist ja alles gut» und so weiterlebe wie bisher? Kein Mensch muss sich ändern, weil Gott ja sowieso alle bedingungslos liebt.
Der Herzschlag des Evangeliums
Zu Recht wird Johannes Kapitel 3, Vers 16 als die innerste Mitte des christlichen Glaubens bezeichnet: «So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzig geborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.» Ohne diesen Vers jetzt in der Tiefe auszulegen, hier die zentralen Wahrheiten:
- Gott liebt die Welt «sehr»
Diese gewaltige Liebe ist Fakt. Sie ist allerdings nicht eine allgemeine Haltung, sondern wird in einer Tat konkret.
- Darum gab er seinen Sohn hin
Gottes Liebe führt ihn dazu, dieser Welt Jesus zu schenken.
- Damit alle, die an ihn glauben…
Jesus will vertraut und ergriffen werden. Hier ist die «Bedingung»: Glauben. Mehr braucht es nicht, weniger geht nicht.
- …nicht verloren werden, sondern ewiges Leben haben
Ewiges Leben ist Gottes Ziel; wer auf Jesus vertraut, bekommt es geschenkt. Wer nicht, schiesst dran vorbei.
Sola Gratia – Sola Fide
Gott liebt also nicht alle Menschen «bedingungslos». Hinter diesem schillernden Begriff steckt eine – letztlich giftige – Halbwahrheit. Basierend auf Johannes Kapitel 3, Vers 16 (und der durchgehenden Aussage der Bibel) müsste man sagen: Gott liebt die ganze Welt mit unvorstellbarer Liebe. Genau darum hat er Jesus gesandt und geopfert (die Passionszeit liegt gerade hinter uns), um es möglich zu machen, dass wir «gratis» errettet werden und das ewige Leben, also die permanente Gemeinschaft mit ihm, als Geschenk bekommen. «Gratis» hängt mit «Gratia», Gnade, zusammen. Die einzige «Leistung», die wir erbringen müssen, ist es, diesen Jesus zu ergreifen. Das nennt man «Glauben».
«Sola Gratia – Sola Fide» nannten es die Reformatoren: «Allein durch Gnade – allein durch Glauben». Genau in dieser Spannung: Gnade für alle, aber die wird durch Glauben aktiviert. Glauben, das ist unsere Rolle: keine Leistung, aber vertrauendes Annehmen.
Wer diesen Schritt – Jesus und Glauben – auslässt und undifferenziert von «Gottes bedingungsloser Liebe zu allen Menschen» redet, entkernt und kastriert letztlich das Evangelium; wer Jesus und den Glauben elegant umschifft, tut niemandem einen Gefallen.
Wer es aber wagt, sich auf Jesus einzulassen, erlebt: Diese Gnade und Liebe Gottes ist grösser, höher, weiter, länger und tiefer als alles, was ich je im Leben verbocken kann. Jesus hat die Bedingung erfüllt, und wenn ich mich auf ihn verlasse – im Leben und im Sterben – dann gilt Gottes Liebe mir «bedingungslos».
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