Auf der Flucht und doch ruhig?
«Komm doch erst mal zur Ruhe.» Ein solcher Satz passt in meiner Vorstellung zu einer sympathischen Frau im Rentenalter, die einem Gast, der gerade zur Tür hereingekommen ist, eine frische Tasse Kaffee oder Tee einschenkt. Sie richtet die Worte an jemanden, der noch ganz gestresst und ausser Atem ist.
Und die zweite Stimme
Die wohlmeinende Stimme dieser Frau richtet sich gegen die innere Stimme, die der Gast vielleicht noch ganz laut in sich hört. Diese Stimme ist nicht gütig. Sie spricht nicht verständnisvoll, sondern hart und ungeduldig: «Reiss dich gefälligst zusammen. Du musst noch mehr tun! Was du machst, reicht nicht! Wenn du nicht noch einen Zahn drauflegst, schaffst du's nicht. Dann bist du wieder einmal der Verlierer!»
Es ist die Stimme des Stresses. Und Stress kennt kein Erbarmen und keine Geduld. Würde ich mir Stress als einen Menschen vorstellen, dann wäre es ein verhärmter, unsympathischer Mann mit einer Peitsche.
«Bei Gott komme ich zur Ruhe»
Vor etwa dreitausend Jahren sagte ein Mann etwas sehr Bemerkenswertes zum Thema Ruhe: «Nur bei Gott komme ich zur Ruhe; geduldig warte ich auf seine Hilfe. Nur er ist ein schützender Fels und eine sichere Burg. Er steht mir bei, und niemand kann mir schaden.» (Psalm 62) Das klingt doch wunderschön: Gott, der Fels und die sichere Burg – das macht Mut.
Ein Mann auf der Flucht
Diese Worte über die Ruhe stammen von David, einem Mann, der viele Jahre König von Israel war. Dass ein König diesen Satz ausspricht, ist bemerkenswert, aber auch irgendwie passend. Der mächtige und weise König weiss, was er an Gott hat. Doch wahrscheinlich war es ganz anders: Vermutlich ist der Satz von der Ruhe auf der Flucht entstanden. Denn David wartete nicht nur viele Jahre darauf, endlich König zu werden. Er war jahrelang auf der Flucht und lebte in der ständigen Angst, von königstreuen Soldaten seines Vorgängers aufgegriffen und umgebracht zu werden. Er hatte keinen festen Ort zum Leben und wusste nie, wem er trauen konnte.
Was kann man sich für einen heftigeren Stress vorstellen, als ständig auf der Hut zu sein, selbst im Schlaf eine Waffe griffbereit zu haben und mit Menschen zu tun zu haben, bei denen man sich nie sicher sein kann, dass sie einen nicht doch verraten?
Keine Selbstdisziplin oder Training
David wurde nicht nur bedroht, es wurde auch schlecht über ihn geredet. Es heisst in Davids Lied weiter: «Wie lange noch wollt ihr alle über einen herfallen und ihm den letzten Stoss versetzen wie einer Wand, die sich schon bedrohlich neigt, oder einer Mauer, die bereits einstürzt? Ja, sie unternehmen alles, um meinen guten Namen in den Dreck zu ziehen. Es macht ihnen Freude, Lügen über mich zu verbreiten. Wenn sie mit mir reden, sprechen sie Segenswünsche aus, doch im Herzen verfluchen sie mich.»
Ruhe ist bei David hier nicht etwas, das er sich durch Selbstdisziplin erkämpft oder durch besondere Übungen antrainiert, sondern etwas, das aus einer Beziehung entsteht. David hatte eine Beziehung zu Gott. Bei allem, was er erlebte, wusste er, dass er bei ihm sicher ist und dass er ihm immer vertrauen kann. Das gab ihm Ruhe.
Die Stimme des Herzens
Sie sind vielleicht in einer Situation, in der Sie sich so sehr innere Ruhe wünschen. Ich empfehle Ihnen, den Liedtext von Psalm 62 zu lesen, der in der Bibel im Alten Testament zu finden ist. Lassen Sie auf sich wirken, wie David sich bei Gott geborgen und wirklich sicher fühlte. Es ist beeindruckend und gar nicht exklusiv. Sagen Sie Gott einmal, was Sie unruhig macht. Wenn Gott eine Stimme besonders gut und gerne hört, dann ist es die Stimme unseres Herzens, auch wenn sie unruhig und voller Angst ist. Er wird Ihnen antworten.
Bei diesem Artikel handelt es sich um eine Neuauflage. Er erschien bereits am 06.04.2015 bei Jesus.ch.
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