Tipps zum Meditieren

Bibelverse beten

Man kann auch Bibelverse beten
Im Christentum gibt es verschiedene Formen des kontemplativen Gebets. Christiane Hammer aus dem Gebetshaus Augsburg lädt dazu ein und gibt praktische Tipps für die Umsetzung.

Warst du schon einmal in einem Kloster? Dort kann man die Sprechgesänge der Mönche oder Nonnen im Stundengebet erleben. Auch in der Liturgie der Gottesdienste und Messen der Grosskirchen werden Gebete aus der Bibel laut gesprochen. Das Vaterunser ist nichts anderes als laut gesprochene Bibelverse. Auf eine etwas freiere Weise wird auch in den Freikirchen mit der Bibel gebetet.

Gerade die alten Formen von schreibendem und gesprochenem Gebet haben etwas Sammelndes, in sich Ruhendes, das uns hilft, uns auf das Wesentliche zu besinnen. Genau darum geht es bei Gebet – dass wir uns ausrichten auf Jesus und in seiner Gegenwart bleiben, und zwar mithilfe der Bibel.

Wie funktioniert das?

Du liest einen Vers, den du dir für dieses Mal ausgesucht hast. Du schreibst den Vers. Du betest den Vers. Und wieder von vorne. Wenn wir laut sprechen, lesen und schreiben, geschieht etwas mit uns:

1) Laut sprechen: Sprich den Vers laut vor dich hin. Im Römerbrief heisst es: «Glaube kommt durch das Hören des Wortes» (Römer Kapitel 10, Vers 17). Bibelverse laut auszusprechen, sodass unsere Ohren es hören, führt zu einem festeren Glauben.

2) Lesen: Verschiedene Forschungen zeigen, dass analoges Lesen Konzentration und Aufmerksamkeit stärkt. In der Zeitschrift Language Cognition and Neuroscience heisst es sogar, dass Lesen unser Gehirn formt. Meine Erfahrung ist, dass mir vor allem das laute Lesen hilft, mich zu fokussieren und bewusster zu lesen. Lies dir den Bibelvers, den du aufgeschrieben hast, laut vor. Und wieder. Und noch mal. Und ein weiteres Mal.

3) Schreiben: Die Kunst des Schreibens war im Mittelalter in den Klöstern Alltag. Ganze Bibeln, Psalter, Missale und andere geistliche Bücher wurden per Hand abgeschrieben und von ausgebildeten Miniaturmalern verziert. Schreiben verlangsamt uns und fördert unsere Konzentration. Dafür gibt es einen einfachen physischen Grund: Es werden beim Schreiben – ähnlich wie beim Lesen – mehrere Teile unseres Gehirns beschäftigt. Das hilft uns, fokussiert und bewusster bei der Sache zu bleiben. Schreiben strukturiert Gedanken und sortiert uns. Schreib deinen Vers also auf, auch mehrfach hintereinander. Schreib deine Gedanken dazu auf. Was bewegt dich? Wo hast du Fragen an den Vers?

Wir lernen Sprache durch Wiederholen. Und wir verstehen durch Wiederholen. Genauso ist es auch mit dem, was Gott uns durch sein Wort sagt. Durch das beständige Wiederholen fallen dir Dinge auf, die du beim einmaligen Lesen nicht bemerkst. Du beginnst, mit dem Wort in einen Dialog zu treten. Hinterfragst. Fragst. Wunderst dich. Staunst. Bist überwältigt. Der Ausdruck all dieser Dinge hin zu Gott ist Teil von Gebet.

Zudem lernst du mehr und mehr, Gottes Wort zu verstehen. Gott spricht nicht deutsch, sondern seine Sprache. Je mehr wir sein Wort beten, desto mehr verstehen wir seine Sprache und desto vertrauter sind wir damit. Das wird deine Fähigkeit, ihn zu hören, erweitern und auch dein Gebetsleben mit ihm weiter und reicher machen.

Also: Lies den Vers wiederholt laut vor dich hin, schreibe ihn auf. Wenn du an einem bestimmten Wort steckenbleibst, dann lies das einzelne Wort oder den Teil des Verses, über den du stolperst. Schreib diesen Teil auf. Schreib, was du denkst und was der Vers zu dir spricht, was du nicht verstehst, was du verstehst. Der Mund, also das Sprechen, gehören zur Bibelmeditation. Es ist nichts Passives, sondern ein aktives Vor-sich-Hinsprechen, ein zu Gott betendes Wiederholen von Bibelversen, um Gott Zeit zu geben, sein Wort auf unser Herz zu schreiben. Über die Zeit wirst du ein tieferes Verständnis der Wahrheit bekommen, zusammen mit Bibelstudium und Bibelleseplan.

Auf einmal macht es klick

Vielleicht denkst du jetzt: Wie unsinnig ist das denn! Ich habe schon so oft erlebt, dass wir im Gebetshaus biblische Verse singend zehnmal wiederholt haben oder sogar mehr. Meine Erfahrung ist, dass irgendwo zwischen dem zehnten und dem fünfundzwanzigsten Mal auf einmal etwas in mir wach wird. Es macht klick.

Genauso ist es mit einem Bibelvers, den du schon hundertmal gelesen hast. Irgendwie fällt dir erst beim dreihundertfünfzigsten Mal ins Herz, was da wirklich (noch) steht. Es landet eine neue Offenbarung über die ewige Wahrheit darin. Eine Wahrheit ist dir offenbar geworden. Genau da passiert die Veränderung in deinem Herzen. Diese Verse vergisst du nicht. Sie werden auf dein Herz geschrieben, weil du darin der Person Jesus begegnet bist, die hinter den Buchstaben steckt. Und genau das ist es, worum es geht.

Damit das passiert, wiederholen wir die Verse. Und zwar bewusst. Du kannst natürlich auch Bibelverse runterleiern, dann zieht alles an dir vorüber. Bei der Bibelmeditation geht es um ein aktives, bewusstes, achtsames und betendes Wiederholen von Bibelversen durch Lesen, Schreiben, Beten, Laut-Aussprechen oder Singen.

Wenn du abschweifst – keine Sorge! Das ist normal. Ablenkung gehört zum menschlichen Leben. Wir können unser Kopfkino und unser Gedankenwuseln nicht abstellen. Aber wir können es lenken. Gewohnheit macht fokussierter. Übung macht den beständigen Beter. Bleib dran! Wenn du abgelenkt bist, schreib die To-dos und Gedanken auf und kehre zurück zum Vers. Vielleicht hilft es dir auch, wenn du in Bewegung bleibst und auf und ab läufst. Oder mach dir Instrumentalmusik an und singe den Vers betend. Was auch immer dir hilft, am Ball zu bleiben, das solltest du tun.

In die Praxis

Also, legen wir einfach mal los! Ich empfehle dir, dir für eine Meditation mindestens eine halbe Stunde Zeit zu nehmen und einen Ort zu wählen, wo du ruhig und ungestört bist. Aber es kann auch ein Eltern- und Geschäftswelt-taugliches kürzeres Format sein für diejenigen, deren Zeit das im Alltag einfach nicht immer hergibt. Sei guten Mutes! Gebet ist nicht ein Zeitraum, sondern ein Lebensstil – und beten ist möglich, egal, wie dein Beruf oder deine Lebenssituation aussieht.

Mit welcher Textstelle kann man beginnen? Suche dir deinen Lieblingsvers aus oder eine Textstelle, bei der du gerade hängengeblieben bist bei deiner täglichen Dosis Bibelleseplan, beim Tagesevangelium oder was auch immer dein Weg ist, in der Bibel zu lesen.

Mein Tipp, gerade für den Anfang: Starte mit einem Psalm (zum Beispiel Psalm 23, Vers 1 oder 24, Vers 1). Da Psalmen ursprünglich als Lieder geschrieben wurden, sind die Texte gut geeignet, um darüber zu meditieren. Auch inhaltlich führen sie uns leicht ins Gebet und ins Gespräch mit Gott – wir können dem Weg der Autoren folgen, die selbst auch diesen Herzensdialog mit ihrem Gott gesucht haben.

Praktische Vorbereitung

Wie das im Notizheft aussehen kann

Hier siehst du, wie ich gerne in meinem Notizbuch, das ich für die Aufzeichnung meiner Gedanken während meiner Gebetszeit verwende, die Seite einteile:

Oben schreibe ich den Bibelvers auf, mit dem ich mich beschäftigen möchte. Der Platz darunter ist für alles, was ich über den Vers denke, was ich verstehe, Fragen an den Vers, mein Gebet dazu und so weiter.

Eine Spalte rechts ist für alles, was in meinem Kopf hochploppt, wenn ich anfange, in den Vers einzutauchen. Meine Erfahrung ist nämlich: Sobald ich mich fokussieren will, werde ich mit banalen Gedanken bombardiert – oder auch mit unfassbar dringlichen (manchmal auch schrägen). Die rechte Spalte auf meiner Seite hilft mir, weil ich dort jegliche Gedanken hinschreibe, die mich ablenken, das heisst, die nicht der Bibelvers sind oder sich um den Vers drehen. Zum Beispiel: «Lisa anrufen, Termin mit Zahnarzt ausmachen, Wäsche waschen», aber auch: «Ich hab grad überhaupt keine Lust auf Gott, ich fühle mich so mies, ich bin zornig auf...» Wenn ich meine Ablenkungen dort aufschreibe, sind sie aufgehoben. Ich vergesse sie nicht (vor allem, wenn es wichtige Dinge sind) und kann die Liste später abarbeiten. Jetzt kann ich mich aber fokussieren, anstatt die nächste halbe Stunde damit zu verbringen, meine Gedanken irgendwie zu lenken und in den Griff zu bekommen, gegen sie anzubeten oder einfach aufzugeben.

Der Abschnitt unten ist dafür da, Fragen zur Bibelstelle aufzuschreiben, um sie später in der Konkordanz nachzuschlagen, Bibelstudium zu betreiben etc. Auch das hilft mir, im Moment bei der Bibelstelle zu bleiben und mich nicht zu verzetteln.

Bibelmeditation to go

Bibelmeditation ist kein Zeitabschnitt, sondern ein Lebensstil der liebenden Betrachtung des Wortes Gottes. Wenn Kinder um dich rumwuseln, gewickelt werden müssen, schreien, sich streiten, krank sind, von der Schule abgeholt und zur Geigenstunde gefahren werden müssen und du nebenher auch noch den Haushalt jonglierst, kann ich mir vorstellen, dass diese Art der Betrachtung utopisch wirkt. Genauso vermutlich, wenn du ein leitender Angestellter, Aussendienstler oder Schichtarbeiter in Vollzeit bist.

Hier ist eine Möglichkeit, wie du das Modell auf dem Weg zur Arbeit, in einer kleinen Pause, beim Wäschefalten, Kochen, Stillen oder Zähneputzen anwenden kannst: Schreib deine zwanzig Lieblingsverse (geht genauso mit der Tageslosung, einem Psalmvers oder irgendeinem anderen Vers, der dich gerade beschäftigt) auf Karteikarten und zieh täglich einen. Suche dir einen Bibelmeditations-Buddy, mit dem du dich austauschen kannst, wenn dir danach ist – dann macht es mehr Spass und es ist ein zusätzlicher Anreiz, dranzubleiben. Leg dir die aktuelle Karte ins Auto oder häng sie dir an den Kühlschrank. Bete den Vers an der roten Ampel und im Stau (ist besser als sich aufzuregen), im Bus, in der Bahn oder auf dem Fahrrad. So kann dich der Vers den ganzen Tag über begleiten und du kannst ihn zwischen deinen täglichen Verpflichtungen betend wiederholen.

Über die Jahre sind auf diese Weise viele Bibelverse in meine Anbetungssprache übergegangen. Ob ich im Supermarkt einkaufe, im Gebetsraum oder zwischen Meetings hin- und herlaufe, sie sind in meinem Sinn und ich spreche sie manchmal fast schon unbewusst als liebendes Gebet zu Gott. Oft spreche ich auch einfach nur den Satz: «Jesus, ich liebe dich. Du bist das Wort des Lebens für mich.» Das zählt. So fängst du an, Gebet zu leben.

Zur Autorin:

Christiane Hammer ist Leiterin und Missionarin im Gebetshaus Augsburg. Die Kunsthistorikerin liebt es, Gott durch kreative und lebensspendende Wege im Heute erfahrbar zu machen. Dieser Artikel ist ein bearbeiteter Auszug aus ihrem aktuellen Buch «Ganzheitlich Gebet» (SCM R.Brockhaus).

Zum Thema:
Wie geht beten? Tipps aus der Bibel
Glaube praktisch: Warum Beten oft so langweilig scheint
Über das Reden mit Gott: «Gebet kommt auf fast jeder Seite der Bibel vor»

Datum: 25.07.2024
Autor: Christiane Hammer
Quelle: Magazin Aufatmen 3/2023, SCM Bundes-Verlag

Werbung
Livenet Service
Werbung