Wenn wir nicht darüber reden, tun es andere
«Als unsere Kinder in die Pubertät kamen, konnte ich die Sexualaufklärung in der Schule von zu Hause aus mitverfolgen». blickt Katharina von Däniken (69) zurück. Damals fragte sie sich aber, welchen Gewinn die behandelten Themen im Leben ihrer drei Söhne und drei Töchter überhaupt hatten.
Gibt es relevante Aufklärungsangebote?
Als gelernte Handarbeitslehrerin konzipierte sie unter dem Titel «Mit Freuden Frau sein» einen Kurs für Mädchen. «Es sollte eine Ergänzung zum Schulunterricht sein.» Von der Schule wurde das Engagement positiv wahrgenommen. «Was ist mit den Jungs?», wurde gefragt. Anfang der 90er Jahre schien es kein entsprechendes Programm zu geben. «Lange suchte ich vergeblich nach Angeboten, bis ich bei TeenSTAR fündig wurde.»
In jenen Jahren kamen verschiedene Angebote zur Sexualaufklärung auf, welche jedoch nicht zu weniger Schwangerschaften, Geschlechtskrankheiten und Abtreibungen unter Jugendlichen führten. Dies erkannte auch die Gynäkologin Prof. Dr. Hanna Klaus, welche jahrelang im Bereich der Gynäkologie unterrichtete. In ihrer Praxis stellte sie fest, dass viele Teenagermädchen, egal aus welchem familiären Umfeld sie kamen, trotz verfügbaren Verhütungsmitteln unerwartet schwanger wurden. In der Folge entwickelte sie das TeenSTAR Programm.
TeenSTAR – ein etwas anderer Ansatz
Den wesentlichsten Unterschied von TeenSTAR zu anderen Sexualerziehungsprogrammen sieht von Däniken darin, dass der Entwicklungsstand der Jugendlichen als Ausgangspunkt genommen wird. «Indem die Fragen der Jugendlichen beantwortet werden, ist immer klar, wo sie in ihrer Entwicklung stehen und wir laufen nicht in Gefahr, übergriffig zu sein mit unseren Informationen. Es kann gezielt über Dinge diskutiert werden, wo sie verunsichert sind durch die grossen Veränderungen, die mit ihnen passieren, vom Kind zum Erwachsenen. Als Lehrerin begeisterte es mich von Anfang an dass ich nicht sagen musste: Mach das so, dann bist du ok, sondern, dass sie selber überlegen müssen, was sie für sich selber richtig finden.»
Über den Körper und das Leben sprechen
«Wenn Jugendliche verstehen, was in ihrem Körper passiert und dass sie jetzt fruchtbar werden, beginnen sie auch die anderen Themen rund um die Sexualität anders zu sehen. Sexualität betrifft den ganzen Menschen und meint nicht den Sex (Geschlechtsverkehr). Das gehört dazu, ist aber nur ein Teil und wird je nach Lebenssituation ganz verschieden gelebt.»
Sie lernen ihre Gefühle besser kennen und benennen, um sich besser mitteilen zu können. Während der Teenagerzeit entwickelt sich auch das Hirn, wodurch sie die Konsequenzen von Handlungen einschätzen können. «Wenn Jugendliche realisieren, welche Auswirkungen ihre Entscheidungen bezüglich des Umgangs mit der Sexualität auf ihr ganzes Leben haben, ist das sehr wertvoll und hilfreich und erhält eine grosse Relevanz.»
TeenSTAR hat die Person im Zentrum. Das bedeutet, dass Körper, Gedankenwelt, Emotionen, Umfeld, kurz: das ganze Leben berücksichtigt wird.
Über mögliche Konsequenzen nachdenken
«Sobald der Anspruch von Tiefe besteht, gibt es mit manchen Erwachsenen Probleme.» So gäbe es Schulleiter, die TeenSTAR nicht in ihrer Schule wollen, auch weil das Programm zu viel Zeit beanspruche. «Auch der Anspruch, über das Recht auf Abtreibung nachzudenken, geht vielen zu weit.» Solche Fragen sind unerwünscht, sollten aber möglich sein, weil junge Mädchen die Konsequenzen des Entscheids tragen müssen – egal, wie dieser ausfällt.
Genauso sollte auch darüber gesprochen werden, in einer Freundschaft mit Sex zu warten; sie kann fluid sein und Liebe braucht Zeit zu reifen. Die meisten Jugendlichen haben genügend Fallbeispiele in ihrem Umfeld, um motiviert zu sein, darüber zu sprechen, was es zu gelingenden Beziehungen braucht.
Jugendliche brauchen Zeit
«Ich finde es schwierig, dass mit Gesprächen über Sexualität immer früher begonnen wird.» Kindern sei es unmöglich, Dinge zu verstehen, die für sie noch nicht relevant sind. Je nach Unterricht könne es übergriffige Züge haben, gegen die sich Kinder nicht wehren können. Wenn Jungs zu ihr kommen und sagen, sie seien schwul, nehme sie das ernst und frage: «Wie kommst du darauf und wie zeigt sich das?» Die Antwort sei oft, er sei gerne mit Jungs zusammen. Darum sage man ihm, er sei schwul. «Jeder Psychologe sagt, dass es völlig normal ist in der Entwicklung gerne mit Jungs zusammen zu sein. Ich sage ihm, vieles sehe an einem Tag so aus, am anderen wieder anders. Darum empfehle ich ihm, sich weiter zu beobachten und zu warten mit einer definitiven Entscheidung.» Von Däniken spricht davon, dass die Entwicklung zum Erwachsenen viel Zeit braucht – mindestens bis 18 oder sogar 25 Jahren. Es sei wichtig, sich nicht vorschnell festzulegen.
Den Druck auf Jugendliche, sich früh zu einer sexuellen Orientierung zu bekennen, erachtet sie als unfair den Jugendlichen gegenüber, die am Anfang der Pubertät stehen. Über die Zunahme von Geschlechtsumwandlungen Minderjähriger ist sie entsetzt. Sie plädiert dafür, jungen Menschen Zeit zur Entwicklung zu geben.
«Wieso hat uns dies nie jemand gesagt?»
«Heute haben wir eine übertriebene Propaganda», bedauert von Däniken. «Die Gesellschaft erlaube nicht mehr, etwas zu hinterfragen.» Sie betont, dass junge Menschen Fragen stellen und schlüssige Antworten erwarten dürfen. «Bei TeenSTAR wird Raum und Zeit gegeben, um mit Gleichaltrigen zu diskutieren.» Das Konzept funktioniere. Es baut auf Logik und der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen auf. Es müsse keine religiöse Überzeugung geteilt werden, um zu guten Entscheidungen zu finden. Jugendlichen mit kirchlichem Hintergrund helfe TeenSTAR, den Sinn dessen zu erkennen, was dort gelehrt wird.
«Bei TeenSTAR Kursen werden die Eltern miteinbezogen. Es werden Elternabende durchgeführt die Einblick in die Kursinhalte geben. Bei diesen Ausbildungsseminaren sagen Teilnehmer öfters: «Wieso hat uns dies noch nie jemand gesagt?»
Zur Webseite:
TeenSTAR
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Datum: 05.06.2023
Autor:
Markus Richner-Mai
Quelle:
Livenet