Das eigene Dorf neu entdecken
«Der Theologe Wolfgang Bittner wusste, dass ich mein Christsein ganzheitlich leben will», erzählt Hanspeter Schmutz. «Er empfahl mir, Steinbach an der Steyr zu besuchen. Dort würden Werte gelebt, welche das Klima im Dorf verändert hätten.» Gesagt – getan – der Schweizer nahm Kontakt auf zu Karl Sieghartsleitner und wurde schliesslich von ihm drei Tage lang durch sein Dorf geführt. Dabei stellte sich heraus, dass der Bürgermeister eine Glaubenserneuerung erlebt hatte. Während einer tiefgehenden Krise machte er sich daran, die Werte, welche ihm wichtig sind, zusammen mit seinen Mitbürgern im 2'000-Seelen-Dorf umzusetzen.
Es geht um die Gemeinschaft
«Eine politische Gemeinde ist eine Gemeinschaft, die alle im Blick haben muss, nicht nur Einzelpersonen», hält Hanspeter Schmutz fest. Der zunehmende Individualismus bewirke jedoch das oft Gegenteil. «Christen hören jeden Sonntag in der Kirche, dass sie nicht nur an sich denken sollen. Wenn sie sich ausserhalb dieser Mauern mit 'Menschen guten Willens' zusammentun, kann Transformation passieren.» Das erlebt Hanspeter Schmutz und berichtet gern davon.
Fast alle Arbeitsplätze weg
Das Dorf Steinbach an der Steyr erlitt einen Kollaps, als der grösste Arbeitgeber Konkurs ging. Sehr viele Einwohner verloren damit ihren Arbeitsplatz, und gerade auch junge Leute verliessen die Region. Karl Sieghartsleitner sei damals gebeten worden, das Bürgermeisteramt zu übernehmen. «Das klang wie ein Todesurteil – seine Vorgänger und dessen Stellvertreter waren aus lauter Überforderung im Amt verstorben…», weiss Schmutz. Trotzdem habe der überzeugte Christ nicht kneifen wollen und sagte zu.
Sieghartsleitner musste feststellen, dass nur Mitglieder seiner eigenen Partei sich motivieren liessen, einen neuen Gemeinderat zu bilden. Alle anderen suchten das Weite. Doch ihr neuer Bürgermeister rief sie am runden Tisch zusammen, um das politische Gegeneinander zu durchbrechen. Persönlich besuchte er die Menschen im Dorf, sprach alte Konflikte an, lud ein, sie anzugehen und einander zu vergeben. Er setzte die christlichen Werte, die ihn prägen, in seinem Amt um und motivierte, sich wieder zusammenzutun und gemeinsam aktiv zu werden.
Blumengeschmückte Osterbrunnen
Hanspeter Schmutz nahm diese Anregungen und praktische Beispiele mit in die Schweiz und machte sie in verschiedenen Dörfern bekannt. So unter anderem den Steinbacher Brauch, vor Ostern die Dorfbrunnen mit Blumen zu schmücken. Während der Osterpredigten werde dann auf diese Symbole des Lebens und der Auferstehung hingewiesen, hatte Schmutz erfahren. «Hier in Oberdiessbach gibt es etwa 28 Brunnen, deren Quellwasser der Bevölkerung zur Verfügung steht», erzählt der Fachjournalist. Damit traf er in seinem Wohnort auf ideale Voraussetzungen, um den Brauch ebenfalls einzuführen. Er bat Firmeninhaber, die im Gartenbereich tätig sind, gemeinsam die Brunnen des Orts im Hinblick auf Ostern zu schmücken. «2018 wurden so einige davon wunderbar geschmückt von Leuten, die sonst Konkurrenten sind.» Sie arbeiteten zusammen am gleichen Projekt, machten jedoch auch Werbung für ihr Geschäft. Und sie setzten Werte um, die aufbauend und verbindend wirken.
Werteorientierte Ortsentwicklung
«Der Start garantiert nicht, dass etwas ewig hält», weiss Schmutz. Nicht alle Anläufe hätten sich bewährt, Etliches sei wieder eingeschlafen. Doch das Thema der werteorientierten Ortsentwicklung hat ihn gepackt. Seine Erfahrungen in Steinbach hält er in seinem neuen Buch fest. Es zeigt in sieben Strategien das praktische Vorgehen zu einer werteorientierten Gemeindeentwicklung auf. Schmutz steht dazu: Er sei überzeugter Christ und lebe nach dem Vorbild von Jesus Christus. «Was er zum Reich Gottes gesagt hat, betrifft alle Lebensbereiche», betont der Oberdiessbacher. Als Beispiel erwähnt er irische Mönche, die ihre Heimat verliessen, um das Christentum auf dem Kontinent zu verkünden.
Etwas Kirchengeschichte
St. Gallen ist ein Beispiel dafür, wie aus einer Gemeinschaft von Mönchen schliesslich eine politische Gemeinde entstand. Der irische Mönch Gallus hatte sich im Wald niedergelassen, den Menschen gepredigt und ihnen mit seinem medizinischen Wissen gedient. Marktstrukturen entstanden und schliesslich wurde eine Stadt daraus. «Christen haben nicht nur gepredigt, sondern auch immer eine gemeinschaftsfördernde Wirkung gehabt. Sie haben gelehrt und geheilt, daraus sind Schulen und Spitäler entstanden, Bildung für alle wurde möglich», erinnert Hanspeter Schmutz. Heute müssten sich Christen unter die Menschen mischen und nicht darauf warten, dass diese in die Kirche kommen. «Wir müssen mit diesem Jesus in uns mitten unter den Menschen leben.»
Stationenweg
«Die nachchristliche Gesellschaft hat noch gewisse Erinnerungen an die Bedeutung von Weihnachten oder Ostern. Hier kann man anknüpfen», hält Hanspeter Schmutz fest. So wurde in seinem Dorf schon mehrmals die Ostergeschichte als Stationenweg aufgebaut. Der Verein zur Ortsentwicklung «Zäme für Oberdiessbach» wurde gegründet, ein Zusammenschluss von Menschen, die sich für ihr Dorf einsetzen wollen. So lerne man sich kennen, komme über Lebens- und Glaubensfragen ins Gespräch. Aktive aus der Kirche könnten so auch mal zu einem Alphakurs einladen. «Würden alle Christinnen und Christen dort, wo sie leben, in diesem Sinn wirken, hätten wir eine Transformation der Schweiz», fasst Hanspeter Schmutz seine Hoffnung zusammen.
Sehen Sie sich den Livenet-Talk mit Hanspeter Schmutz an:
Zum Buch:
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Datum: 28.07.2023
Autor:
Mirjam Fisch-Köhler
Quelle:
Livenet