Reto Kaltbrunner

Wenn die Krise nicht endet

Reto Kaltbrunner
Reto Kaltbrunner ist chronisch krank und hat seine Hoffnung lange Zeit auf die Heilung gesetzt. Eine besondere «Begegnung» veränderte das.

«So, Gott, jetzt habe ich meine Lektion gelernt! Du darfst die Übung abbrechen.» Das bete ich regelmässig. Denn bisher war mir klar, dass Gott Leid und Probleme zu unserem Besten für eine begrenzte Zeit zulassen kann – gemäss dem Motto: «Nach der Krise bist du stärker!» Aber was, wenn die Krise kein Ende nimmt? Was, wenn meine Situation sich sogar noch verschlechtert und die vielen Gebete nicht erhört werden?

Die Ungewissheit, wie lange ich mit meiner Krankheit noch fertigwerden muss, belastet mich immer wieder. Darum versuche ich einen Tag nach dem anderen zu nehmen und zu vertrauen, dass Gott weiss, was er tut. Er scheint dieses Lebenskapitel mit dem Titel «Veränderung» noch nicht fertiggeschrieben zu haben. Ich möchte aber auch davon ausgehen, dass Gott mich nicht erst heilen muss, um mich für seine Pläne brauchbar zu «machen»! Darum sage ich immer wieder zu mir selbst, dass auch solche Wartezeiten voller Segen sein können.

Eine besondere Begegnung

Diese Perspektive habe ich während eines Corona-Lockdowns entwickelt, als mir eine Onlinepredigt eine neue und hoffnungsvolle Perspektive eröffnete. Der folgende Lebensbericht von Samuel Koch war Teil dieser Predigt und hat mich sehr ermutigt.

Samuel Koch studierte Schauspiel und bekam von der Sendung Wetten, dass... das Angebot, einen Salto über ihm entgegenfahrende Autos zu machen, mit speziellen Sprungstiefeln an den Füssen. Als versierter Kunstturner hatte er dieses Kunststück schon tausende Male gemacht. Doch an diesem 4. Dezember 2010 verunfallte er in Düsseldorf vor laufender Kamera und brach sich vor einem Millionenpublikum viermal das Genick. Seither ist er vom Hals abwärts gelähmt, sitzt in einem elektrischen Rollstuhl und ist rund um die Uhr auf fremde Hilfe angewiesen. Als Kunstturner, Akrobat und Schauspieler war sein Körper sein Kapital. Seine Zukunft schien in einem Augenblick zerstört... Doch statt hoffnungslos ist Samuel heute ein Hoffnungsspender: Trotz seiner Umstände liebt er Gott, wurde Buchautor und gründete den Verein Samuel Koch und Freunde e. V., der Helfer von Menschen mit Behinderungen unterstützt.

Während des erwähnten Lockdowns wandte Samuel sich dann mit diesen Worten an seine Zuhörer: «Und jetzt möchte ich ein klein bisschen was erzählen, was mir etwas schwerfällt, weil ich sowieso nicht gerne Menschen mag, die viel klagen, ohne zu leiden. Und ich habe nicht viel davon in der Öffentlichkeit erzählt und sage das jetzt nur im Vertrauen: Auch meine aktuelle Situation ist manchmal ganz schön, entschuldigt, ‚beschissen‘. Die Corona-Situation führt dazu, dass meine Existenzgrundlage wie Veranstaltungen, Vorstellungen weggebrochen ist, ich gar nicht weiss, wie das nächste halbe Jahr aussehen kann. Ein Arzt von mir hat gesagt, wenn die Entzündung am Fuss sich weiterhin so entwickelt, muss man den Fuss abnehmen. Mein Pflegestand ist sehr unsicher und ich könnte noch viele eklige weitere Dinge erzählen, aber fühle mich damit auch nicht so wohl.

Was ich aber überraschend feststellen will, dass in all diesem ekligen Kram ich ganz gut drauf bin. Und irgendwie mental voll fit! Und mich auf den morgigen Tag freue und gespannt bin und mir die Vögel draussen anschaue jetzt bei dem Frühlingswetter und sie sehe und denke: ‚Ja, sie säen nichts, sie ernten nicht und Gott versorgt sie doch.‘ Und ich vertraue darauf und weiss auch, weil ich es schon erfahren durfte, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen werden.»

Glücklich trotz Leiden

Samuel sprach mir direkt ins Herz! Denn bis dahin rechnete ich damit, dass sich mein Zustand bald bessern würde bzw. sich aufgrund meines Bibelverständnisses und meiner zahlreichen Fürbitten bessern «müsse». In Samuels Bericht hörte ich nun zum ersten Mal einen überzeugten Christen sagen, dass sich seine Situation anstatt verbessern eher noch verschlechtern wird und er vielleicht seinen Fuss amputieren muss. Er äusserte dies in einer selbstverständlichen, versöhnten und zuversichtlichen Art, die mich inspirierte! Diese «Begegnung» mit Samuel Koch veränderte mich, weil er mich ermutigte, loszulassen und auf Gott zu vertrauen, egal wie es mit meinem Körper weitergeht. Samuels Leben zeigt mir, dass ich trotz Krankheit und Leiden glücklich sein kann – und ich meine Hoffnung nicht alleine auf Heilung setzen soll. Da habe ich mich entschieden, Gottes Segen in meiner Krankheit – in dieser unangenehmen Wartezeit – zu suchen. Ich wurde fündig und ich erlebe diesen Segen immer wieder, zum Beispiel in Form von Gottes Nähe, seiner Unterstützung, seinem Mitgefühl. Ja, es gibt sogar Situationen, wo ich mich regelrecht von ihm gebraucht fühle!

Von dieser Realität berichtet auch der Apostel Paulus im 2. Korinther Kapitel 4, Vers 16: «Deshalb geben wir nie auf. Unser Körper mag sterben, doch unser Geist (griech. unser innerer Mensch) wird jeden Tag erneuert.» Paulus sagt in diesem Zitat, dass er und seine Mitstreiter trotz grosser Entbehrungen und körperlicher Schwäche nie aufgeben werden. Was genau werden sie nicht aufgeben? Die Hoffnung auf Gesundheit, ein bequemes Leben oder weniger Probleme? Nein! Er meint die Hoffnung auf unsere ewige Heimat und die Mission, diese Hoffnung zu verbreiten!

Diese biblische Perspektive gibt mir übernatürliche Kraft – nicht in den Muskeln, aber in meinem Innern. Während ich zu Beginn meiner Erkrankung den grossen Teil meiner Energie und Aufmerksamkeit einer raschen Heilung widmete, gebe ich heute meiner Freundschaft mit Gott mehr Gewicht und versuche, in allen Umständen seinen Segen zu erkennen und weiterzugeben (so gut es halt geht).

Kraft in der Schwachheit

Mit dieser Einstellung erwarte ich zwar weiterhin ein Heilungswunder, beschränke meinen Horizont aber nicht nur darauf, im Sinne von: «Erst wenn Gott mich heilt, werde ich wieder aufleben!» Heilung ist somit nicht der Hauptfokus, sondern spielt auf einem Nebenschauplatz. Indem ich meine Hoffnung zuerst auf die Beziehung zu Gott setze, werde ich wieder und wieder aufs Neue ermutigt, weil er meinen «inneren Menschen» (also meinen Geist) täglich erneuert. Die Tatsache, dass es mir körperlich nicht gut geht, besteht einfach; es ist, wie es ist. Davon will ich mich nicht länger entmutigen lassen. Im Gegenteil will ich mich regelmässig an Gottes Gnade erinnern und meinen inneren, unsichtbaren Menschen von ihm erbauen lassen.

Dazu fordert uns Paulus nur zwei Verse später auf: «Deshalb lassen wir uns von dem, was uns zurzeit so sichtbar bedrängt, nicht ablenken, sondern wir richten unseren Blick auf das, was jetzt noch unsichtbar ist. Denn das Sichtbare vergeht, doch das Unsichtbare bleibt ewig.» 2. Korinther Kapitel 4,Vers 18. Paulus weiss, wie es ist, auch in Zeiten der Krankheit und Not Gott nahe zu bleiben. Er selbst litt unter einem «Dorn im Fleisch», der ihn weder von Gott trennte noch daran hinderte, Gott zu dienen – obwohl dieses Leiden sein Leben erheblich erschwert haben muss! Um was es sich dabei genau handelte, wird von Theologen unterschiedlich interpretiert: Die einen glauben, dass es sich um eine chronische Krankheit handelte, andere gehen davon aus, dass es die Folgen seiner Entbehrungen und der brutalen Misshandlungen waren, denen er ausgeliefert war (2. Korinther Kapitel 11, Verse 23-33).

Der Ursprung von Paulus’ Leiden spielt aus meiner Sicht jedoch eine untergeordnete Rolle, denn viel interessanter ist sein Umgang damit. Er beschreibt diesen und erklärt, dass er nach einem Prozess des Betens (und wahrscheinlich auch des Fastens) seine Situation akzeptiert habe und sogar einen Gewinn daraus ziehe: «Dreimal habe ich zum Herrn gebetet, dass er mich davon befreie. Jedes Mal sagte er: ‚Meine Gnade ist alles, was du brauchst. Meine Kraft zeigt sich in deiner Schwäche.‘ Und nun bin ich zufrieden mit meiner Schwäche, damit die Kraft von Christus durch mich wirken kann.» 2. Korinther Kapitel 12, Verse 8-9

Kein Zweifel

Die Herausforderung, angesichts Krankheit und Schmerz an Gottes Allmacht festzuhalten, kannten auch weitere Gottesdiener zur Zeit des Neuen Testaments. So finden wir Berichte davon, dass einzelne Apostel und Gemeindeleiter mit verschiedenen Beschwerden zurechtkommen mussten. Etwa Epaphroditus, ein «wirklicher Bruder, ein treuer Mitarbeiter und Mitstreiter» von Paulus: Er war todkrank (Philipper Kapitel 2, Verse 25-30)! Paulus berichtet im Philipperbrief von seiner Sorge, dass Epaphroditus sterben könnte. Während er die Krankheit seines Mitarbeiters thematisiert, ist keine Rede von Zweifeln an Gottes Macht! Paulus scheint Krankheit (sogar lebensbedrohliche) zu akzeptieren, ohne gleich seinen Glauben in Frage zu stellen. Für ihn scheint klar zu sein: Jeder Mensch kann krank werden, jeder Mensch muss irgendwann sterben.

Der Gemeindeleiter Timotheus, der für Paulus wie «ein eigenes Kind» war, hatte ein schwaches Immunsystem und war deshalb oft krank (1. Timotheus Kapitel 5, Vers 23). Paulus hält ihm keine Moralpredigt, dass der Grund seines schlechten Gesundheitszustandes zum Beispiel in einer versteckten Sünde liegen muss. Er macht ihm auch keinen Vorwurf, dass sein Glaube zu schwach sei oder dass er zu wenig gebetet habe. Paulus geht mit der Krankheit seines Freundes pragmatisch um, er «vergeistlicht» sie nicht! Stattdessen empfiehlt er Timotheus, nicht länger nur Wasser, sondern auch mal etwas Wein zu trinken, da er den Ursprung der Krankheit in dessen Magen vermutet. Die Erkenntnis, dass Gott den kränkelnden Timotheus, den kranken Paulus und den todkranken Epaphroditus als Apostel gebrauchte, gibt mir Hoffnung. Denn diese Leidensgeschichten zeigen, dass Krankheit nicht das Ende unseres Glaubens oder unserer Berufung bedeutet!

Was also, wenn Gott nicht heilt? Jesus Christus spricht dazu deutliche Worte und erklärt, wie wir mit Kranken und Schwachen umgehen sollen. Nämlich liebevoll und hilfsbereit! Denn: Anderen zu helfen bedeutet, unseren Glauben in die Tat umzusetzen. Und es entspricht genauso dem Evangelium, sich helfen zu lassen (Matthäus Kapitel 25, Vers 40). Damit Gottes Plan also aufgeht und wir einander dienen können, braucht es nicht nur helfende Menschen, sondern genauso diejenigen, die diese Hilfe dankbar annehmen. So gehört beides zusammen und beide Parteien brauchen Demut: der Helfende und derjenige, der sich helfen lässt!

Ich ermutige dich, nicht nur auf Gottes Heilung zu warten, sondern gerade auch die Wartezeit zu nutzen und die Beziehung zum liebenden, himmlischen Vater zu geniessen! Vielleicht ist es auch an der Zeit, dass du deinem Umfeld Gelegenheit gibst, Gott zu dienen, indem sie dir dienen?

Ähnliche Impulse gibt es im Magazin Aufatmen. Infos zum günstigen Jahresabogutschein des Magazins findest sich hier.

Sehen Sie hier einen Talk mit Reto Kaltbrunner vom Januar 2024:

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Datum: 10.03.2025
Autor: Reto Kaltbrunner
Quelle: SCM Bundes-Verlag

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